Die Geliebte des Normannen
Ehrgeiz zu unterstützen!« Rufus' nächste Worte klangen wie eine Frage. »Aber Ihr werdet mir natürlich die geschuldeten Vasallen bringen.«
Das war die erste Probe. Geoffrey gönnte sich dieses Mal keine Pause, was immer auch kommen mochte. »Wann – und wohin?«, fragte er.
»In zwei Wochen rücken wir gegen Carlisle vor.« Geoffrey wurde fast schwindlig. Sein Vater neben ihm starrte schockiert auf den König. Dann tauschten Vater und Sohn, die einander so ähnlich sahen, alarmierte Blicke aus. Rufus grinste und rieb sich erfreut die Hände.
»Malcolm wird von unseren Plänen total überrascht sein, so wenige Tage vor der Hochzeit seiner Tochter mit unserem lieben Stephen.« Er triumphierte. »Es kann gar nicht schiefgehen. Endlich ist der Schotte dem Untergang geweiht.«
Mary konnte nicht schlafen. Beim Abendessen hatte Adele ihr das verabredete Zeichen gegeben. Sie war verzweifelt. Hätte sie es gewagt, sich genauer mit dem zu befassen, was in ihr vorging, dann wäre sie wahrscheinlich darauf gekommen, dass sie ihrem Verlobten gar nicht wirklich entfliehen mochte.
Aber sie musste es tun. Sie musste sich dieser verhassten Heirat entziehen. Wie konnte sie ihn heiraten, nach all dem, was geschehen war?
Hatte er nicht ihr Leben zerstört?
Sie rollte sich auf die Seite. Eben hatte die Glocke zum Morgengebet geläutet; bald würde der Himmel grau werden, bald musste sie ihren Versuch, allem zu entkommen, was ihr verhasst war, in Angriff nehmen. Aus unerfindlichem Grund wollte ein Schluchzen aus ihrer Brust emporsteigen. Sie schluckte es hinunter. Einmal mehr kam ihr der Gedanke an die wunderschöne rote Wolle in den Sinn, die Stephen ihr geschenkt hatte.
Sein Page hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, dass sein Lord den ganzen Weg bis nach Cheapside geritten und die Wolle dort persönlich ausgesucht hatte.
Mary drehte sich auf den Bauch. Sie war verlegen, denn sie konnte sich nicht erklären, weshalb er ihr dieses Geschenk machte, nachdem sie ihm ihren ganzen Hass ins Gesicht geschleudert hatte. Sie fühlte sich elend. Denn heute Abend würde sie sich mit Verrat und Treulosigkeit revanchieren.
Sein dunkles Bild tauchte vor ihr auf. Seine noch dunkleren Worte, als er ihr sagte, sie solle sich vor Adele in Acht nehmen, es gäbe keine Freunde. Er war ein einsamer Mann. Wie klar sie das nun erkannte. Er brauchte ganz gewiss eine Freundin, eine Gefährtin, ein Gemahlin.
Aber sie würde es nicht sein. Er hatte ihr Leben ruiniert. Das hatte er getan, und Mary war sicher, sie würde es ihm niemals verzeihen können.
Ihre Schläfen pochten, wie so oft, seit sie sich am Hof befand und seit ganz offensichtlich geworden war, dass ihr Vater keine List im Sinn hatte, sondern ein wirkliches Bündnis. Mary schloss die Augen. Noch immer drängten Tränen daraus hervor. Auch wenn sie fliehen wollte, was würde ihr widerfahren, wenn sie zu Hause ankam? Würde Malcolm sie willkommen heißen – oder sie gar zurückschicken?
Wenn er der Mann war, für den sie ihn hielt, würde er sie mit offenen Armen empfangen und stolz darauf sein, wie sie den normannischen Feind getäuscht hatte. Bestimmt war er dazu gezwungen worden, sie im Stich zu lassen. Mary hatte lang und breit darüber nachgedacht und nicht einen Vorteil gefunden, den ihre Heirat Schottland bringen konnte – außer Frieden. Und Malcolm wollte keinen Frieden; er war erpicht darauf, seine Grenzen zu erweitern, bis Schottland wieder seine einstige Größe erreicht hatte.
Mary war sich nicht sicher, ob sie ihr Vorhaben zu Ende führen konnte. Sie dachte immer wieder an Malcolms Worte an jenem Tag im Moor.
»Mackinnon bringt mir weitgehende Unterstützung. Was bringt Ihr mir?«
Und ständig sah sie Stephen, wie zuletzt am gestrigen Nachmittag, seine düstere, enttäuschte Miene, als sie es nicht fertigbrachte, ihm für sein Geschenk zu danken.
»Mary«, flüsterte Adele ihr ins Ohr. »Auf, auf, Ihr müsst gehen!«
Nun blieb keine Zeit mehr, es sich anders zu überlegen. Mary schlüpfte zitternd aus dem Bett. Ihr Blick traf Adeles. Die schwarzen Augen der Erbin glänzten siegesgewiss. Bald würde sie Stephen für sich haben – wie sie es wollte.
Stephen de Warenne stellte die größte Bedrohung für den Komplott dar, den Adele ausgeheckt hatte. Er war zu klug, er ahnte, was im Gange war.
Beim Abendessen war Mary Adeles Rat gefolgt und hatte einige Tropfen Mohnextrakt in seinen Wein gegossen. Stephen trank einige Becher des damit versetzten Burgunders, und Mary
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