Die geraubte Braut
sein Hemd über den Kopf, in dem sie fast verschwand und das ihr bis über die Knie reichte. Er führte ihre Arme in die weiten Ärmel des pelzgefütterten Morgenmantels, so wie er normalerweise die Arme seiner Söhne in ihre Wämse steckte. »Setz dich.« Er drückte sie auf den Schemel. Da sie nun bekleidet war, war auch ihre Verletzlichkeit unter Wolle und Pelz verschwunden. Portia konnte sich nun erlauben, ihrer Umgebung gewahr zu werden.
»Wann hast du zuletzt gegessen?« Er machte sich daran, ihren Knöchel mit breiten Stoffstreifen zu umwickeln.
»Heute Morgen einen Bissen Brot, Fleisch und Käse musste ich Juno überlassen. Sie war halbverhungert«, gab Portia tonlos zurück, obwohl ihr nun warm war. Es war eine wunderbare, bis ins Mark reichende Wärme, die den pochenden, nun fest bandagierten Knöchel wettmachte.
Juno wedelte mit ihrem trockenen, jetzt buschigen Schwanz und kratzte mit ihrer kleinen Pfote an Rufus' Bein.
»Jetzt hat sie auch Hunger«, erklärte Portia überflüssigerweise. »Würdest du sie füttern?«
Rufus sah Portia an, wie sie auf dem Schemel saß, in Kleidern, in denen sie buchstäblich versank. Wirklich sichtbar war nur Kopf, dessen Haar sich als stumpfrote Gloriole auf dem dunklen Fell seines Mantels abhob. Ein wenig kleinlaut und resigniert sah sie ihn nun mit jener Unerschrockenheit an, die ihm von Anfang an schon Respekt und Bewunderung abgenötigt hatte.
Seit sie ihn verlassen hatte, hatte das Bild ihrer schrägstehenden grünen Augen, ihrer ausgeprägten Nase und hohen Wangenknochen ihn bis in seine Träume verfolgt, und die unglaubliche Weichheit ihrer Haut schien er in seinen Händen zu spüren. Er hatte dagegen angekämpft, es geleugnet. Hatte sich eingeredet, dass er nie an diesen sonderbaren Sehnsüchten, an diesem Gefühl des Unvollendeten gelitten hätte, wenn ihrer Begegnung ein natürliches Ende beschieden gewesen wäre. Als er sie jetzt betrachtete, musste er sich eingestehen, dass er noch nie für jemanden in der Art empfunden hatte, wie er das nun für Portia Worth tat. Zwar wusste er nicht genau, was er eigentlich fühlte, doch ging es über die simple Lust einer angenehmen, kurzen sexuellen Beziehung hinaus.
Wieder kratzte der Hund an seinem Stiefel. Er blickte hinunter und bemerkte, wie jämmerlich klein und jung er war.
Da fing er zu lachen an. Portia sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren, so jäh kam der Umschwung. Ihr fiel aber ein, dass Rufus zu abrupten Stimmungsschwankungen neigte. Wärme und Kraft regten sich wieder in ihr. Sie lächelte zaghaft und strich sich ihr Haar aus den Augen. »Freust du dich, mich zu sehen?«
»ja, verdammt!« schimpfte er. »Frag mich nicht, warum. Du tauchst halbtot vor Erschöpfung mitten in einem Schneesturm auf, lagst mir einen Riesenschrecken ein …« Erneut fiel sein Blick auf den Hund, und wieder musste er lachen.
»Was für ein Gespann ihr abgebt! Dieses hässliche kleine Tier könnte dein böser Dämon sein.« Er hob Juno hoch und hielt sie in der Luft, um sie näher zu untersuchen. »Vermutlich wurde sie nie entwöhnt. Woher hast du sie?«
Portia berichtete ihm, unter welch grauenvollen Umständen sie das Hündchen gefunden hatte, und Rufus verging sein Lachen. »Diese Ungeheuer«, sagte er. »Seit Wochen schon sind Gerüchte über solche Gräuel im Umlauf, doch ist es der erste Augenzeugenbericht, den ich höre.«
»Sind nur die Rebellen so grausam?«
»Nein«, sagte Rufus kurz. »Ich wünschte, ich könnte sagen, es wäre so, aber beide Seiten sind einander in diesem Punkt ebenbürtig und zu immer grausameren Racheakten imstande.« Er sagte es, während er Milch auf eine Untertasse goss, die er für Juno, auf den Boden stellte. Mit einem aufgeregten Japsen machte sich der Hund darüber her.
Er goss Whisky in zwei Tassen und reichte Portia eine mit der Ermahnung, langsam zu trinken. Dann setzte er sich auf die Tischkante und betrachtete sie eingehend. »Also, was war das mit meinem Galgentod auf Castle Granville?«
»Ich bin gekommen, um dich vor einer Falle Catos zu warnen. Eine Nachricht konnte ich nicht schicken, da ich nicht wusste, wo ich deine Späher finde. Da du mich als Feindin betrachtest, ist es kein Wunder, dass du mich nicht ins Vertrauen ziehst.« Portia staunte, dass sie die Energie für diese herausfordernde Behauptung aufbrachte.
»Du warst zu kurz da, als dass ich Vertrauen hätte fassen können«, sagte er leise.
»Nach allem, was du gesagt hattest, konnte ich nicht
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