Die Gerechten
her, dann kannst du es sehen. Noch näher.«
Die Frau hielt die Nadel vor das Fenster und betrachtete die Silhouette vor dem Mondlicht. »Jetzt, Djalu, musst du Mr. Clark die Hände auf die Schultern legen. So ist es richtig. Beug dich ein bisschen vor.«
Die Frau stieß Djalu die Injektionsnadel sauber in den Hals. Ihr Daumen drückte den Kolben schnell herunter, und die Flüssigkeit schoss blitzschnell in die Vene. Djalu hatte noch eine Sekunde Zeit, sich umzudrehen. Sein Gesicht war starr vor Verblüffung. Dann kippte er vornüber und landete schwer auf Mr. Clarks rasselnd atmender Brust.
Seine Mörderin brauchte ihre ganze Kraft, um ihn von dem alten Mann herunterzuwuchten und behutsam auf den Boden zu legen. Sie sah die Wolldecke auf dem Besucherstuhl und breitete sie über ihn, nachdem sie dem Toten mit der flachen Hand die Augen geschlossen hatte.
»Ich bitte Djalu Banggala um Verzeihung für das, was ich getan habe. Aber ich habe es getan im Namen unseres Herrn, des allmächtigen Gottes. Amen.«
Sie verpackte die Spritze und die leere Ampulle wieder in dem Verbandmull, stopfte das Päckchen in ihre Tasche und ging lautlos hinaus. Mr. Clark rührte sich nicht. Wenn er überhaupt etwas hörte, dann Musik – die eindringlichen Streicherklänge eines berühmten Schubert-Stücks. Der Tod und das Mädchen.
47
SONNTAG, 22.10 UHR, CROWN HEIGHTS, BROOKLYN
TC ging schnell und zielstrebig voran und ließ sich nicht ablenken. Sie war in dieser Straße zuletzt vor zehn Jahren gewesen, aber sie hatte nicht vergessen, wo Rabbi Freilich wohnte.
Will musste sich beeilen, um Schritt zu halten, und stellte dabei eine Frage nach der andern. Aber TC blickte starr geradeaus.
»Sie haben die Leiche vor zwei Stunden gefunden. Auf dem Fußboden in meinem Apartment. Anscheinend hat man erst heute Morgen bemerkt, dass er verschwunden war.«
»O Gott. Und wie lange war er schon tot?–«
»Seit gestern Abend. Er wurde in meiner Wohnung umgebracht, Will.« Zum ersten Mal zitterte ihre Stimme.
Will dachte an das Gesicht des Hausmeisters, an den Gary Kasparow des Kellers. Wenn er in der vergangenen Nacht ermordet worden war, dann konnte es nur wenige Minuten, nachdem er ihm und TC zur Flucht verholfen hatte, geschehen sein. Und sicher war das auch der Grund für den Mord gewesen. Ein Bild erschien jäh vor seinem geistigen Auge. Der Mann mit der Baseballkappe.
Erst Josef Jitzhok, jetzt Pugachov. Zwei Leute, die Will zu Hilfe gekommen waren, hatten dafür mit dem Leben bezahlt. Wer würde der Nächste sein? Rabbi Mandelbaum? Tom Fontaine?
Seit Freitagmorgen hatte Will das Gefühl, in einen tiefen Schacht zu fallen, und das Licht wich immer weiter hinter ihm zurück. Er konnte nichts mehr deutlich sehen. Der Rabbiner hatte ihm erklärt, worum es offensichtlich ging, aber was um alles in der Welt hatten Beth und er damit zu tun? Was ging sie diese mystische Prophezeiung an, eine kabbalistische Legende, die jetzt anscheinend eine internationale Mordserie in Gang setzte? Er fiel und fiel.
Und immer, wenn er gedacht hatte, jetzt sei er unten angekommen – bei dem Mord in Bangkok oder heute beim Tod JJs fiel er noch ein Stück weiter. Jetzt war Pugachov tot, und TC steckte in ernsten Schwierigkeiten – Mordverdacht.
»Janey sagt, die Polizei hat an jede Tür geklopft und sich nach der Bewohnerin von Apartment sieben erkundigt. Gottlob war sie zu Hause. Sie hat ihnen gesagt, wie ich heiße, und dass sie mich seit gestern Nachmittag nicht mehr gesehen hat, und das ist gut. Zum Glück war sie so klug, ihnen zu sagen, sie wisse meine Handynummer nicht. Als sie weg waren, hat sie mich gleich angerufen.«
»Und du stehst wirklich unter Verdacht?«
»Janey sagt, sie hat den Eindruck. Warum war der Mann in meinem Apartment? Es sieht aus, als sei er lebendig hineingegangen, und jetzt ist er tot. Und ich bin verschwunden. Wie sieht das aus?«
TC marschierte weiter. Ihr Atem wehte in kleinen Wölkchen durch die Luft, und ihre Wangen röteten sich. »Anscheinend haben sie eine Menge komische Fragen gestellt.«
»Was für komische Fragen?«
»Über mich und Pugachov. Ob wir intime Beziehungen hatten. Ob er mir nachgestellt hat. Mich beobachtet.«
Will sah, in welche Richtung die Polizei dachte. Pugachov, der psychopathische Hausmeister, schleicht sich nach Mitternacht in TCs Apartment. Will sie vergewaltigen. TC greift zur Pistole, erschießt ihn und flieht.
»Sie werden nicht lange brauchen, um deine Handynummer
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