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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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Alte Frauen, die in ihrem eigenen Urin lagen, Männer, die stundenlang schreien mussten, damit man ihnen half, zur Toilette zu gehen. Manche Schwestern verloren schnell die Geduld; sie schrien die Bewohner an und befahlen ihnen, still zu sein. Oder sie redeten sie mit Vornamen an, als wären sie kleine Kinder.
    In den ersten paar Monaten war Djalu mit dem Strom geschwommen. Als einer von nur zwei Aborigines unter den Pflegern wollte er keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Seine Stellung war nicht gerade sicher – nicht mit einem Lebenslauf, der zwei Gefängnisaufenthalte zu verzeichnen hatte, einen wegen Einbruchs, einen wegen Ladendiebstahls. Deshalb hatte er den Mund gehalten, wenn der Stationsleiter den Fernseher lauter stellte, weil Stöhnen und Schreien durch den Korridor hallte.
    Auch jetzt sagte er nichts. Er beschwerte sich nicht bei der Oberschwester oder dem Verwaltungsleiter; er wollte weder Aufsehen noch Ärger haben. Manchmal witzelte er sogar mit den anderen über die »runzligen alten Säcke«. Aber er tat, was er konnte.
    Wenn er einen Bewohner rufen hörte, rannte er. Er gehörte zum »Team Rot« in diesem Altenheim und war für ungefähr zwei Dutzend Betten zuständig. Aber wenn er das Rufsignal eines Bewohners für Blau oder Grün leuchten sah, lief er auch hin – oft ganz verstohlen, damit keiner der Kollegen ihn sah. Er sorgte dafür, dass Mr. Martyn ein bisschen Wasser trank und dass Miss Anderson umgedreht wurde. Und wenn sie sich beschmutzt hatten, wusch er sie behutsam und strich ihnen danach übers Haar, um ihnen ein wenig von ihrer Scham zu nehmen.
    Er hörte, wie manche der Bewohner über ihn sprachen. »Schwester, ich will nicht, dass dieser Boong mich anfasst«, hatte einer gesagt, als Djalu an seinem Bett erschienen war. »Das ist nicht richtig.« Aber Djalu hatte es ihrem Alter zugeschrieben. Sie wussten es nicht besser.
    Mr. Clark war nicht viel freundlicher gewesen. »Welcher bist du?«, hatte er gefragt.
    »Welcher, Mr. Clark?«
    »Ja, da gibt’s doch noch einen Abo hier – wie heißt er gleich? Und welcher bist du?«
    Aber Djalu konnte ihm nicht böse sein, nicht einem Mann, der nur noch wenige Tage zu leben hatte. Also brachte er Tee und Kekse, wenn Mrs. Clark zu Besuch kam, er brachte ihr Papiertaschentücher, wenn er sah, dass sie leise weinte, und wenn sie auf dem Stuhl neben dem Bett einschlief, holte er eine Decke für sie.
    Vielleicht hatte sein Vater Recht damit, dass die europäische Medizin eine kalte, metallische Disziplin war. Also gab er, Djalu, ihr ein warmes, menschliches Gesicht – auch wenn dieses Gesicht so vielen dieser sterbenden Weißen Angst einjagte.
    Um diese Zeit arbeitete er am liebsten, spät nachts, wenn er den ganzen Flur für sich hatte. Er brauchte niemandem seine Anwesenheit in den Zimmern zu erklären, brauchte keine Ausreden zu erfinden, wenn er einer Frau im ersten Stock, für die Team Rot nicht zuständig war, laut aus der Zeitung vorlas oder die Hand eines Mannes hielt, der sich nach der Berührung eines anderen Menschen sehnte.
    Deshalb schrak er hoch, als die Tür zu Mr. Clarks Zimmer sich knarrend öffnete. Die Frau, die hereinkam, hielt den Finger an die Lippen, aber ihre Augen lächelten, als wolle sie Mr. Clark überraschen, und als wolle sie nicht, dass Djalu ihr den Spaß verdarb.
    »Guten Abend, Djalu.«
    »Sie haben mich erschreckt. Ich wusste nicht, dass Sie heute Nacht arbeiten.«
    »Na, du kennst den Tod. Er schläft nie.«
    Djalu sprang auf. »Ist jemand gestorben?«
    »Noch nicht. Aber ich rechne damit.«
    »Wer? Vielleicht könnte ich –«
    »Djalu, reg dich nicht auf. Okay?« Gelassen bückte die Frau sich, zog ein paar CDs aus dem Schrank neben dem Bett und ließ sie auf den Boden fallen.
    »Hey, Miss. Das ist Mr. Clarks Musik. Ich kümmere mich darum –«
    »Da ist es.« Sie griff hinter die CDs und holte etwas heraus, das aussah wie ein Verbandspäckchen. Sie legte es auf das Bett, auf die Matratze neben Mr. Clarks Brust, die sich hob und senkte wie ein Blasebalg. Der alte Mann schlief tief.
    Sie öffnete das Päckchen, schlug den Mull nach rechts und links zur Seite, und er sah eine Injektionsspritze und eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit.
    »Kommt der Arzt? Niemand hat mir etwas gesagt.«
    »Nein, der Arzt kommt nicht.« Sie zog ein Paar Latexhandschuhe über und ließ sie an ihre Handgelenke schnappen.
    »Wollen Sie Mr. Clark eine Spritze geben? Was machen Sie da?«
    »Entspann dich, Djalu. Komm

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