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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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verfolgen, oder? Wir haben ihn gesehen, wir sind ihm entkommen, und der junge Mann, der uns dabei geholfen hat, liegt jetzt tot in ihrer Wohnung.« Er brachte es nicht über sich, den Namen Tova Chaya noch einmal zu benutzen. Beim ersten Mal hatte es schon merkwürdig genug geklungen. »Was glauben Sie denn, wer das getan hat? Wer?«
    »Will, bitte«, sagte TC beschwörend. Aber er war nicht zu bremsen. Der Druck der letzten Tage hatte sich zu lange aufgestaut.
    Der Rabbi sah angespannt aus. »Ich sage Ihnen, ich weiß von keinem Mann mit Baseballmütze. Ich habe niemanden beauftragt, Sie zu verfolgen. Ich habe Sie nicht belogen. Nicht ein einziges Mal. Als Sie mich wegen des Mannes in Bangkok zur Rede stellten, habe ich nichts bestritten. Ich habe Ihnen gesagt, dass ein schreckliches Missgeschick passiert ist. Als wir …« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Als wir uns am erev shabbes – Verzeihung, am Freitagabend – begegnet sind, habe ich sogar eingestanden, dass wir in der Tat Ihre Frau in unserem Gewahrsam haben. Ich habe Sie nicht belogen. Und ich sage Ihnen auch jetzt die Wahrheit. Was da in Tova Chayas Haus passiert sein soll, hat nichts mit mir zu tun.«
    »Mit wem dann, hm? Wenn Sie den Mann nicht haben umbringen lassen, wer dann?«
    »Das weiß ich nicht, und das sollte Sie sehr viel mehr beunruhigen, denn es lässt vermuten, dass der Urheber dieses ganzen entsetzlichen Plans jetzt von Ihnen weiß.«
    »Rabbi Freilich, ich glaube, Sie müssen uns sagen, was los ist.« TC klang jetzt wieder wie Tova Chaya. »Sie wissen etwas, wir wissen etwas. Wir alle wissen, dass die Zeit knapp wird. Der Tag des Gerichts ist schon da. Wer immer das alles tut, will seine Arbeit zu Ende bringen, bevor die Tage der Buße zu Ende sind. Wir haben keine Zeit, gegeneinander zu kämpfen. Und was haben Sie allein bisher zustande gebracht? Haben Sie dem Morden ein Ende gemacht?«
    Der Rabbi senkte den Kopf und legte die rechte Hand an die Stirn. Sie wanderte nach oben, schob sich unter die Jarmulke und kehrte wieder zurück. Was TC da gesagt hatte, traf einen Nerv. Die Last seiner Sorgen schien ihn zu erdrücken. Kaum hörbar murmelte er: »Nein.«
    TC beugte sich vor und drängte weiter. »Das Morden geht weiter. In vierundzwanzig Stunden haben sie vielleicht die letzten der Lamedvavniks umgebracht. Und wer weiß, was dann passiert. Und Sie schaffen es nicht allein. Aber wir können Ihnen helfen, und Sie können uns helfen. Sie müssen es tun. Um Haschems willen.«
    Um des Namen willen. Um Gottes willen. Das ultimative Argument, dem kein Gläubiger sich entziehen konnte. Führte TC es ins Feld, weil sie wusste, auf welche Knöpfe sie zu drücken hatte? Oder sprach Tova Chaya aufrichtig, weil sie ehrlich Angst um die Welt hatte, wenn sie jetzt nicht handelten? Will wusste es nicht, aber wenn er eine Vermutung hätte aussprechen müssen, hätte er sich zu seiner eigenen Überraschung für die zweite Möglichkeit entschieden. Trotz ihrem Skeptizismus, trotz ihrer zehnjährigen Abwesenheit von Crown Heights, trotz Speckfrühstück und Nabelring ging es ihr nicht nur darum, Wills Frau zu finden, und nicht einmal nur um die verbliebenen Gerechten. Er sah es ihr an. Sie würde es nicht aussprechen, denn die Worte klangen zu schwülstig. Aber in diesem Augenblick war Will klar, dass TC von keiner geringeren Sorge getrieben wurde als von der Angst um das Schicksal der Welt.
    »Tova Chaya, wir haben so wenig Zeit.« Rabbi Freilich hob den Kopf. Er nahm seine Brille ab, und sein Gesicht war von Schmerz gezeichnet. »Wir haben alles versucht. Ich weiß nicht, was man noch tun kann. Aber ich werde Ihnen sagen, was wir wissen.«
    Unvermittelt stand er auf und ging zur Tür. Er setzte seinen Filzhut auf, zog seinen Mantel an und winkte den beiden, ihm zu folgen.
    Draußen war es so still, wie Will es in einer Großstadt noch nie erlebt hatte. Die Straßen waren ruhig; kein Auto war unterwegs, weil an Jom Kippur das Autofahren verboten war. Junge Männer im Gebetsschal waren in kleinen Gruppen unterwegs, aber obwohl es ein warmer Abend war und die Menschen ihn gemeinsam verbrachten, herrschte keine festliche Stimmung. Crown Heights schien von Kontemplation und stillem Nachdenken erfüllt zu sein; es war, als sei das ganze Viertel eine einzige große Freiluft-Synagoge. Will war dankbar für seine Verkleidung, denn darin konnte er sich in dieser außergewöhnlichen Atmosphäre bewegen, ohne den Bann zu brechen.
    Er sah jetzt, dass sie in

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