Die Gerechten
mit Pflaster an seiner Brust befestigt: ein Drähtchen mit einem Mikrophon an einem Ende und einem winzigen Sender am anderen.
Eine Sekunde später, vielleicht zwei, brachen sie durch die Tür. Krachend flog sie gegen die Wand, und in der wirbelnden Bewegung sah Will nur zwei Dinge klar und deutlich: ein Paar laserblaue Augen und einen Pistolenlauf mit einem Schalldämpfer. Instinktiv, ohne nachzudenken, stellte er sich schützend vor Beth. Er warf einen hastigen Blick auf die Uhr. Noch neun Minuten.
Rabbi Freilich und die Frau des Hauses erstarrten. Laserauge würdigte sie kaum eines Blickes.
»Danke, William. Du hast getan, worum wir dich gebeten haben.«
Das war nicht Laserauge. Die Stimme gehörte der Gestalt hinter ihm, die jetzt hereinkam. Ihr Klang durchflutete sein Gehirn. Er begriff, dass er dem Oberhaupt der Kirche des Wiedergeborenen Jesus gegenüberstand, dem Mann, der verantwortlich war für den Mord an fünfunddreißig der besten Menschen auf Erden, dem Mann, der nicht weniger herbeiführen wollte als das Ende der Welt. Und das Gesicht, das er vor sich sah, kannte er, solange er denken konnte.
64
MONTAG, 19.31 UHR, CROWN HEIGHTS, BROOKLYN
»Hallo, William.«
Das Herz schlug ihm bis in die Ohren. Das Zimmer schien sich zu drehen. Beth, die sich hinter ihn duckte, schrie auf und packte seine Hand. Rabbi Freilich, die Frau – alle waren starr vor Schrecken.
»Was? Was machst du … Ich verstehe nicht …«
»Ich kann es dir nicht verdenken, Will. Wie könntest du es auch verstehen? Ich habe es dir niemals erklärt. Auch deiner Mutter nicht. Nicht so, dass sie es hätte verstehen können.«
»Aber ich … ich …«, stammelte Will sinnlos. »Du bist doch mein Vater.«
»Das bin ich, Will. Aber ich bin auch das Oberhaupt dieser Bewegung. Ich bin der Apostel. Und du hast uns soeben den größten denkbaren Dienst erwiesen. Ich wusste, dass du es tun würdest. Du hast uns zum letzten der Gerechten geführt. Schon dafür hast du einen Platz in der kommenden Welt verdient.«
Will blinzelte wie ein Fliehender, der sich von Scheinwerfern erfasst sieht. Er begriff nichts von dem, was er sah und hörte.
Sein Vater. Wie konnte sein Vater, ein Mann des Rechts und der Gerechtigkeit, der Architekt so vieler grausamer und unnötiger Mordtaten sein? Glaubte sein Vater, dieser strenge Rationalist, tatsächlich an die Ersetzungstheologie und an all dieses Zeug über Gottes auserwähltes Volk und das Ende der Welt? Natürlich, er musste daran glauben – aber wie hatte er es all die Jahre verbergen und die Welt glauben machen können, er sei ein Mann, der keinen anderen Gott kannte als das Gesetz und die Verfassung der Vereinigten Staaten? Hatte sein Vater wirklich den Plan entworfen, drei Dutzend gute Menschen, die letzte Hoffnung der Menschheit, zu erwürgen und zu erschießen?
Ein Bild schoss ihm durch den Kopf, ein Gesicht, das er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Es war seine Großmutter, die in ihrem Garten in England den Tee servierte. Die Sonne schien, aber er sah nur ihren Mund, der die Worte sprach, die ihn seitdem nie wieder losgelassen hatten. Seine andere große Leidenschaft. Das also war es gewesen. Das war die Macht, die sich zwischen seine Eltern geschoben hatte, als sie beide noch so jung waren. Keine andere Frau, nicht einmal die Hingabe seines Vaters an das Recht. Es war sein Glaube gewesen. Sein Fanatismus.
Will hatte tausend Fragen, aber er stellte nur eine.
»Du wusstest die ganze Zeit über Beth Bescheid?« Er schlang die Arme nach hinten und beschirmte Beth nach beiden Seiten.
»Oh, damit hatte ich nichts zu tun, William. Das geschah ganz allein auf Initiative deiner jüdischen Freunde.« Monroe Sr. deutete auf Rabbi Freilich. »Aber als du mir sagtest, Beth sei entführt worden, hatte ich natürlich schon einen Verdacht. Und als du ihre Entführer in Crown Heights aufgespürt hattest, war ich sicher. Ich habe eine Weile gebraucht, um es mir zu erklären. Zunächst habe ich mich gefragt, ob sie dich damit von der Arbeit an deiner Story abbringen wollten. Du hast deine Sache so gut gemacht. Zuerst Howard Macrae, dann Pat Baxter – es sah aus, als würdest du alles aufdecken. Aber dann wurde mir klar, die Chassiden hatten Beth nicht entführt, weil sie dich stoppen wollten. Das hätte keinen Sinn ergeben. Sie hatten sie entführt, um mich zu stoppen. Und dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Sie mussten sie schützen, weil sie selbst jemanden schützte – nämlich den
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