Die Gerechten
Gottes Wunsch an ihn. Du weißt, was Gott von Abraham wollte, nicht wahr, William?«
Will schluckte, und eiskalt strömte die Erkenntnis durch seine Adern. Seine Zunge schien am Gaumen zu kleben. »Er sollte seinen Sohn opfern.«
»Ganz recht.« Monroe Sr. wandte sich an den blauäugigen Mann, und dieser zog plötzlich ein langes, blitzendes Messer hervor. Wills Vater nahm es behutsam entgegen, respektvoll fast.
»Darum musst du es sein, William. Abraham war bereit, seinen geliebten Sohn Isaak zu töten, nur um seinen Glauben unter Beweis zu stellen. Aber ich bitte dich nun, dich zu opfern für alle Menschen, die jemals gelebt haben. Lass sie alle wieder auferstehen, William! Lass das Reich Gottes beginnen auf Erden!«
Will fuhr die Wut durch alle Glieder. »Und das würdest du tun, Dad? Du würdest deinen eigenen Sohn ermorden? Du würdest mich ermorden, um das Ende der Welt herbeizuführen?«
»Ohne zu zögern.«
Will musste sich setzen. Ihm war schwindlig.
Am Rande seines Gesichtsfelds sah er plötzlich eine verschwommene Bewegung. Es war die Frau, die sich mit einem Stock auf Laserauge stürzte. Will sah, dass es eine Strebe aus dem Treppengeländer war, die sie anscheinend herausgezogen hatte. Fast ohne sich umzudrehen, richtete der Mann seine Waffe auf die Frau und schoss zweimal. Blut und Knochensplitter sprühten durch die Luft. Ein, zwei Sekunden lang war es völlig still. Dann hörte und fühlte Will seine Frau hinter sich. Sie stöhnte, und seine eigenen Hände zitterten.
»Wir müssen schnell handeln, William. Es darf keine Verzögerung mehr geben. Der Allmächtige hat den Zeitpunkt bestimmt und sogar die Person, die diesen letzten Schritt tun muss. Der Zeitpunkt ist jetzt, und die Person bist du.«
Will schätzte, dass ihnen höchstens noch zwei Minuten blieben. Draußen hörte er einen anschwellenden Chor von Stimmen.
Avinu Malkenu Chatmenu besefer hachaim …
Unser Vater, unser König, besiegle uns im Buch des Lebens …
Die Eindringlichkeit ihres Flehens war unüberhörbar, obwohl es gedämpft durch die Wände klang. Er verstand die Worte nicht und wusste doch, was sie bedeuteten. Sie beteten in der neunundfünfzigsten Minute der elften Stunde um Erlösung.
Die Messerklinge blitzte so hell und wild wie das Feuer im Auge seines Vaters. Trotzdem klang Monroe Sr. ruhig und gelassen, als er sagte: »Nimm dieses Messer, Will, und tu, was richtig ist. Tu, was Gott dir befohlen hat. Die Zeit dazu ist gekommen.«
Will sah zu dem Rabbiner hinüber, der jetzt endlich erbost das Wort ergriff. Sein Gesicht war bespritzt mit dem Blut der Frau, die vor seinen Augen ermordet worden war, und er wirkte atemlos. »Ihr Vater hat Recht, Will. Dies ist der Augenblick, in dem Sie handeln müssen. Gott in Seiner Weisheit hat uns allen einen freien Willen gegeben. Er lässt uns die Wahl. Und jetzt haben Sie die Wahl. Sie müssen entscheiden, was Sie tun wollen.«
Will warf einen letzten Blick auf die Uhr. Wenn er noch ein paar Augenblicke herausschinden könnte …
Aber die nächste Sekunde nahm ihm die Entscheidung ab. »Genug geredet!«, rief Laserauge, richtete seine Pistole auf Wills Leib und kniff ein Auge zu, um genau zu zielen. Aber Will sah, dass er gar nicht das eigentliche Ziel war: Der Mörder wollte Beth und das Baby in ihrem Leib erschießen.
Hilflos riss er die Hände hoch. »Nein!« Aber das Wort kam kaum über seine Lippen, und im nächsten Moment wurde er zur Seite gestoßen. Als er zu Boden stürzte, hörte er einen Schuss, dann noch einen – und er sah Rabbi Freilich fallen, ja, fliegen. Der Rabbiner war aufgesprungen, hatte Will aus dem Weg gestoßen und Beth mit seinem Körper gedeckt. Er hatte seine eigene Entscheidung getroffen und die Kugeln, die für Wills ungeborenen Sohn bestimmt waren, mit seinem Körper aufgefangen.
Will nutzte den Augenblick, um sich auf Laserauge zu stürzen und nach der Pistole in seiner Hand zu greifen. Der Mann drückte ab, aber er hatte das Gleichgewicht verloren, und die Kugel zerschmetterte das Fenster zur Straße. Will musste ihm die Waffe abnehmen. Aber jetzt sah er, wie sein Vater mit dem Messer in der Rechten auf den toten Rabbi Freilich zuging. Er hatte es auf Beth abgesehen.
Mit nie gekannter Kraft packte er Laserauges Arm und versuchte, ihn auf den Rücken zu drehen, wie er es beim Ringkampf in der Schule gelernt hatte. Der Mann schrie auf, und sein Griff um die Pistole lockerte sich. Will konnte einen Finger um den Kolben schieben, aber das war
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