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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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Monate. Ihm kam es länger vor. Alles, was in jener Woche passiert war, schien ihm lange her und weit entfernt zu sein, als wäre es auf einem fernen Planeten oder in einem anderen Zeitalter geschehen.
    Er hatte viele schwere Gespräche zu führen gehabt, das schwerste mit Tom an seinem Krankenbett. Er hatte ihm erklärt, warum er die Kugel abbekommen hatte. Es gebe keinen guten Grund, hatte Tom gefolgert, von kühler Logik selbst auf der Intensivstation. Ebenso wie es keinen guten Grund dafür gebe, weshalb die Kugel sein Herz nur um eine Hand breit verfehlt und in seiner Schulter stecken geblieben sei. »Wenn ich kleiner wäre, wäre ich jetzt tot«, hatte er benommen festgestellt. »Oder größer? Aber du siehst, was ich meine? Es gibt keinen logischen Grund für das alles. In unserem Leben gibt es keine Vernunft.« Dann war er wieder eingeschlafen.
    TC und Will besuchten ihn oft in jenen ersten Tagen, aber Ehrengäste waren sie beide nicht. Dieser Platz gehörte Beth. Als sie hereinkam, schenkte Tom ihr ein breites Grinsen anstelle eines wässrigen Lächelns. Sie beugte sich über ihn, umarmte ihn behutsam und sagte ihm, er habe mitgeholfen, ihr Leben und das ihres Kindes zu retten. »Gern geschehen«, sagte er.
    Die Ereignisse der Nacht und der ganzen Woche hatte Will unzählige Male schildern müssen. Zuerst hatte er Polizisten und Staatsanwälten erklären müssen, er habe seinen Vater getötet, um sich selbst, seine Frau und seinen ungeborenen Sohn zu retten – was durch die kriminaltechnische Untersuchung des Hauses in Crown Heights und die nachfolgenden Ermittlungen gegen die Kirche des Wiedergeborenen Jesus bestätigt wurde. Die Polizei hatte außerdem gesehen, welches schreckliche Schicksal Rabbi Freilich und Rachel Jacobson widerfahren war. Will und Beth hatten diesen schrecklichen Abend stundenlang noch einmal durchleben und Aussage um Aussage machen müssen, und sie waren erschöpft.
    Als sie allein waren, berichtete Beth ihm, wie gut sie behandelt worden war und wie mütterlich Mrs. Jacobson in diesem Haus zu ihr gewesen war; immer wieder hatte sie sich für die Entführung entschuldigt und ihr versprochen, dass sich bald alles aufklären werde. Anfangs hatte Beth Angst gehabt, dann war sie wütend gewesen, und schließlich hatte sie verzweifelt darauf gedrängt, Will mitzuteilen, dass ihr nichts zugestoßen sei. Aber keinen Augenblick lang, sagte sie, habe sie daran gezweifelt, dass sie am Leben bleiben werde. Die Chassiden hatten ihr geschworen, ihr kein Haar zu krümmen, und aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstand, hatte sie ihnen geglaubt.
    Und so gingen Beth und Will gemeinsam zu den Trauerfeiern für Rabbi Freilich und Mrs. Jacobson, die, der jüdischen Tradition gemäß, sofort stattfanden, als der Gerichtsmediziner die Leichen herausgab. Riesige Menschenmengen, wohl an die dreitausend für Rabbi Freilich, versammelten sich: ein gemeinschaftlicher Ausdruck der Trauer. Erst zu diesem Zeitpunkt erfasste Will, welche Bedeutung Freilich für die Chassiden gehabt hatte: er war ihr Ersatzvater gewesen, der ihnen seit dem Tod des Rebbe den Weg gewiesen hatte.
    Eine Hand voll Menschen gingen bei der Beisetzung auf Beth zu und verbeugten sich kurz, als sie näher kamen. Will begriff, dass sie nicht ihr oder ihm Respekt erwiesen, sondern dem ungeborenen Kind, das ausersehen war, einer der Lamedvav zu sein.
    Als er ein bekanntes Gesicht erblickte, ging Will sofort auf ihn zu. »Rabbi Mandelbaum, ich möchte Sie etwas fragen.«
    »Ich glaube, ich weiß schon, was Sie fragen wollen, William. Darf ich Ihnen einen Ratschlag geben? Denken Sie nicht zu viel über das nach, was wir in jener Nacht besprochen haben. Das wäre nicht gut für Sie. Und auch nicht für Ihren Sohn.«
    »Aber –«
    »Es sieht in der Tat so aus, als habe der Rebbe gewusst, dass Ihr Sohn eine besondere Verantwortung tragen wird, dass er einer der Gerechten sein soll. Das ist eine große Ehre. Aber die andere Sache, die wir besprochen haben, sollte man ruhen lassen.«
    »Ich weiß nicht genau, ob ich Sie verstehe.«
    »Nun, ich sagte Ihnen, unsere Tradition lehre uns, dass einer der Lamedvav der Kandidat für den Messias sei. Wenn die Zeit gekommen ist, wenn die Menschheit würdig ist, dann wird diese Person der Messias sein. Wenn die Zeit nicht reif ist, dann werden sie leben und sterben wie alle anderen.«
    »Aber in den letzten Stunden des Tages der Buße war das Kind, das meine Frau in sich trug, der Letzte, der noch

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