Die Gerechten
übrig war. All die anderen Gerechten waren ermordet–«
»Und nun ist dieser Moment vorübergegangen – und die Welt steht immer noch. Das bedeutet, dass es wieder sechsunddreißig auf der Welt gibt. Eine neue Generation von Zaddikim. Jeder von ihnen könnte der Kandidat sein.« Rabbi Mandelbaum sah Will direkt in die Augen. »Jeder Einzelne von ihnen.«
»Siehst du«, sagte Beth und zog ihren Mann mit sich, »wir müssen uns darum keine Gedanken machen.« Sie hatte Will ermutigt, nicht die ferne Zukunft ins Auge zu fassen, sondern über die gerade vergangenen Ereignisse nachzudenken – besonders über seinen Vater. Er habe ein dreifaches Trauma erlebt, erklärte sie ihm. Als Erstes müsse er über den Schock hinwegkommen, den er durch seine Tat davongetragen habe. Was immer Freud über ödipale Phantasien gesagt habe – den eigenen Vater zu töten, erschüttere die Psyche bis in ihre Grundfesten. Sie warnte ihren Mann: Er werde Jahre brauchen, um zu verarbeiten, was er durchgemacht habe. Zweitens, sagte sie, erlebe er die Trauer eines Sohnes. So irrsinnig die Umstände gewesen sein mochten, Will habe seinen Vater verloren, und dem müsse er ins Auge sehen. Und das Dritte – und vielleicht Schwerste – sei die Trauer um den Vater, den er zu kennen geglaubt habe. Diesen Mann hätte er verloren, selbst wenn William Monroe Sr. am Leben geblieben wäre.
In den Tagen nach jenem Abend in Crown Heights kam es zu einer ganzen Serie von Festnahmen in der ganzen Welt; Missionare und religiöse Aktivisten von Darfur bis Bangkok wurden unter Mordanklage gestellt – und alle hatten Beziehungen zur Kirche des Wiedergeborenen Jesus. Der Verdächtige im Fall Howard Macrae erwies sich als ein Pfarrer aus der Nachbarschaft, der das Opfer seit Jahren gekannt hatte. In Darwin wurde die Seelsorgerin eines Hospizes wegen Mordes an einem Pflegehelfer vor Gericht gestellt. In Südafrika verhaftete die Polizei ein ehemaliges Starmodel, das nach dem Ende seiner Karriere in die Sekte eingetreten war: Sie hatte einen Aidsforscher ermordet, den sie am Strand kennen gelernt hatte.
Wie sich herausstellte, wusste nur eine relativ kleine Gruppe um den Mann, den die Zeitungen jetzt als den »Apostel« bezeichneten, von seinem Komplott gegen die Gerechten. Die meisten in der Gemeinschaft Christlicher Werte hatten von der Existenz dieser Gruppe nichts geahnt. Anscheinend war die Fraktion des Wedergeborenen Jesus eine Sekte in einer Sekte gewesen. Die neue Führung der Gemeinschaft gab bekannt, man werde die Doktrin der Ersetzungstheologie »einer Revision unterziehen«, und man hoffe, dass bald alle Mitglieder »zur Linie der Mehrheit der christlichen Familien zurückkehren, die dem Judentum als einem Weg zu Gott nur Ehrfurcht und Respekt« entgegenbringe.
Townsend McDougal gab eine Erklärung heraus. Er habe seine Verbindungen zur Kirche des Wiedergeborenen Jesus vor fast einem Vierteljahrhundert abgebrochen – und er habe nicht gewusst, dass William Monroe Sr. seine geheime Beteiligung an der Sekte aufrechterhalten habe. Er habe angenommen, die Gruppe sei nach Johnsons Tod zerfallen. Er schickte Will ein Beileidsschreiben, entschuldigte sich für die Beurlaubung – »eine übereilte Entscheidung« – und teilte ihm mit, sein Schreibtisch in der Redaktion erwarte ihn, wann immer er zurückkehren wolle.
Will betrachtete die Papierstapel, die immer noch unsortiert vor ihm auf dem Tisch lagen. An seinem Telefon blinkte das Licht: zwei Nachrichten.
»Hi, Will, hier ist Tova. Ich freue mich auf heute Abend. Sag mir Bescheid, wenn ich noch irgendetwas mitbringen soll.«
Das hatte er vergessen: TC kam heute Abend zum Essen. Beth hatte alles genau geplant: Sie hatte einen hinreißenden, unverheirateten Arzt aus der Klinik und zur Tarnung noch zwei andere Singles eingeladen. Will hatte protestiert: Viel zu offensichtlich, hatte er gemeint.
Er fragte sich, wie TC auf ein solches Programm reagieren würde. Ihr Leben hatte sich in jener Woche genauso sehr verändert wie seines. Sie war – nach der Polizei – die Erste gewesen, die wenige Minuten nach dem Ende des Jom Kippur in das Haus gekommen war. Sie hatte panisch versucht, ihn telefonisch oder per SMS zu erreichen, und als er nicht geantwortet hatte, war sie geradewegs nach Crown Heights geeilt und den Blinklichtern der Polizeiwagen gefolgt. Später sagte sie zu ihm: »Ich weiß ja, dass du entschlossen warst, mich mit deiner Frau bekannt zu machen, aber dazu muss es doch einen
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