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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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zu geben, dass er Luft brauchte. Sie drückten ihn noch tiefer ins Wasser. Will begann sich zu wehren. Zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig.
    War dies das Fazit des Vortrags, den der Rebbe ihm gehalten hatte? Nichts Abstraktes oder Komplexes – trotz der gewundenen Exposition –, sondern eine ganz einfache Schlussfolgerung? Wir werden dich töten.
    Dreißig, einunddreißig, zweiunddreißig. Seine Beine zappelten. Es fühlte sich an, als gehörten sie jemand anderem. Sein Körper geriet in Panik, und die Überlebensreflexe setzten ein. So sah man es auch im Kino, wenn der Mörder sein Opfer mit einem Kissen erstickte oder mit einem Strumpf erwürgte: dann fingen die Beine an, instinktiv zu tanzen.
    Vierzig, einundvierzig. Oder schon fünfzig? Will konnte nicht mehr zählen. Dumpfe Farben durchfluteten seinen Kopf, wie man sie beim Einschlafen unter den Lidern sieht. Er wollte um die Frau weinen, die er zurücklassen würde, und fragte sich, ob man unter Wasser weinen konnte. Sein Bewusstsein begann zu schwinden.
    Endlich ließen sie los, aber Will schoss nicht mit energischem Luftschnappen aus dem Wasser wie zuvor. Sie mussten ihn herausziehen, und er sackte zu Boden. Da blieb er liegen, und seine Brust hob und senkte sich, als sei sie unverbunden mit dem Rest seines Körpers. Er hörte von fern jemanden schwer atmen, aber er wusste nicht, ob er es selbst war.
    Langsam rann das Wasser aus seinen Ohren, und er konnte wieder besser hören. Allmählich kehrte die Kraft in Arme und Beine zurück.
    Etwas hatte sich verändert. Jemand war dazugekommen. Er hörte unruhiges Getuschel. Der Neuankömmling war außer Atem, als sei er gerannt. Er hörte die Stimme des Rebbe, aber sie klang abwesend, als betrachte oder lese er etwas.
    »Mr. Mitchell, Mosche Menachem, der bis vor einer Weile bei uns war, ist soeben zurückgekommen.« Der Rotbart. »Er ist zu Shimon Shmuels Haus gerannt und hat eine Brieftasche geholt. Ihre Brieftasche.«
    Sie hatten seine Tasche durchwühlt. Jetzt war alles aus. Seine Brieftasche würde ihn verraten. Was war drin? Keine Visitenkarten – er stand zu tief unten in der Hierarchie der Times, um welche zu haben. Auch keine Kreditkarten; die bewahrte er in einem separaten Mäppchen auf, das in einem eigenen Fach in seiner Tasche steckte, wo er sie gelassen hatte. Selbst wenn Sara Leah sich nicht verkneifen könnte, einen Blick in seine Tasche zu werfen, hatte er gedacht, würde sie sicher nicht gründlich darin wühlen.
    Was war noch da? Tonnenweise Taxiquittungen – aber auch irgendetwas mit seinem Namen? Hotel- und Kreditkartenrechnungen aus Seattle und dem Nordwesten hatte er in einen Extraumschlag für die Spesenabrechnung geschoben. Vielleicht war alles okay. Vielleicht würde er davonkommen.
    »Nehmt ihm die Augenbinde ab und lasst seine Arme los. Bringt ihn zurück ins Bet Hamidrash.« Will war ratlos – kamen jetzt weitere Qualen, oder war dies ein Zeichen dafür, dass die Gefahr vorbei war?
    Jemand machte sich an seinem Hinterkopf zu schaffen, und dann wurde es hell, als das nasse Tuch von seinen Augen genommen wurde. Er schüttelte das Wasser ab und öffnete die Augen. Er war im Freien, in einer kleinen Holzumzäunung, wie man sie benutzte, um bei großen Gebäuden die Mülltonnen zu verbergen. Er sah ein paar Rohrleitungen, und zu seinen Füßen glitzerte Wasser. Aber er hatte keine Zeit für lange Beobachtungen, denn seine beiden Bewacher drehten ihn schon um. Vermutlich, dachte er, war hier ein großer Tank, eine Tonne, in der das Regenwasser gesammelt wurde.
    Durch eine Tür ging es wieder ins Haus, aber Will kam es so vor, als seien sie hier nicht herausgekommen. Es war stiller, und von den vielen Menschen war nichts zu hören. Es musste ein anderes Gebäude sein, vielleicht das Nachbarhaus der Synagoge.
    Aber viel anders sah es hier nicht aus: funktionaler Bodenbelag, ein Kaninchenbau von Klassenräumen und Büros. Der Rotbart Mosche Menachem und der Israeli führten ihn in eins der Büros, und Will hörte, wie die Tür sich hinter ihm schloss.
    »Er kann sich hinsetzen. Gebt ihm ein Handtuch. Und treibt ein trockenes Hemd auf.«
    Die Stimme des Rebbe, immer noch hinter ihm. Die Augenbinde war fort, aber offenbar sollte er trotzdem nicht alles sehen.
    »Okay, dann fangen wir von vorn an.«
    Will biss die Zähne zusammen.
    »Wir müssen uns unterhalten, Mr. Monroe.«

18
    FREITAG, 19.40 UHR, RIO DE JANEIRO, BRASILIEN
    Eine anstrengende Woche ging zu Ende; Luis Tavares spürte die

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