Die Germanin
Gehör. Arminius ließ Segithank von den Treverern fünfzig Hiebe aufzählen, den anderen je fünfundzwanzig. Dann jagte er alle davon.
Wenig später verließ auch Neldas Bruder Segimund, dieser allerdings mit Erlaubnis des Schwagers, die Gefolgschaft. Ein paar Männer seines Vaters hatten ihn aufgespürt und ihm die Nachricht gebracht, Segestes sei ernsthaft erkrankt und die Frage bereite ihm große Sorgen, wer ihm als Gaufürst und Sippenoberhaupt nachfolgen solle. Er sei bereit, seinem Sohn zu verzeihen, wenn dieser zu ihm zurückkehre. Segimund zögerte und beriet sich mit Nelda. Sie wagte nicht auszusprechen, was sie dachte: dass die Krankheit erfunden war. Denn sie bemerkte, dass ihr Bruder über die Botschaft im Grunde seines Herzens erfreut war. Auch wenn er es nie zugegeben hätte, litt er unter der Ächtung durch den Vater. Hinzu kam, dass Segimund sich in der Gefolgschaft des Arminius nicht wohlfühlte. Er war ein Außenseiter, scheu, verschlossen und ungeschickt, behindert durch seine verfeinerte römische Bildung, oft Gegenstand des Spottes der anderen. Immerhin war er ein ehrlicher Kerl und hatte für die Freiheit gekämpft. Was auch der Vater mit ihm vorhatte: Er würde ein treuer Verbündeter bleiben. Dieses Versprechen nahm Nelda ihm ab und dann setzte sie sich dafür ein, ihn ziehen zu lassen. Arminius hatte nichts dagegen, einen Mann zu verlieren, der wenig nützte.
Seine Gefolgschaft hatte inzwischen die Stärke einer kleinen Armee angenommen. Von Zeit zu Zeit waren Männer hinzugestoßen, die er von seinen Ansichten überzeugt hatte und die mittlerweile eine gut ausgebildete Kerntruppe bildeten. Im Grunde konnte er mit den Vorbereitungen für ein neues Kräftemessen zufrieden sein. Die Reisen hatten sich gelohnt, die meisten Stammesführer und Gaufürsten hatten sich nun – unter Schwüren und feierlichen Opfern – verpflichtet, notfalls unverzüglich ihre Mannschaften bereitzustellen. Seine Aufenthalte bei ihnen hatte er genutzt, um die Krieger in römischer Kampftechnik zu unterweisen. Ein Botennetz war geschaffen worden, das es ermöglichte, die bewaffneten Haufen rasch herbeizuholen und zu bestimmten Punkten zu lenken. Der römische Angriff konnte kommen.
Der blieb allerdings noch immer aus, sie lebten weiter – und das nun seit Jahren – in gespannter Erwartung. Einmal hörten sie von einem Vorstoß in der Nähe des Rhenus, bei dem Dörfer und Getreidefelder niedergebrannt wurden. Ein andermal wurde von einem Gefecht mit Brukterern berichtet. Doch Tiberius vermied es, tiefer ins Land vorzustoßen. Offenbar sollten erst ideale Bedingungen für den Rachefeldzug geschaffen werden. Die Befestigungen auf beiden Seiten des großen Grenzflusses und an der unteren Lupia wurden weiter ausgebaut, immer neue Straßen, Brücken und Wälle errichtet.
Im dritten Jahr nach ihrer verheerenden Niederlage hatten die Römer auf der germanischen Seite des Rhenus wieder Fuß gefasst. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, dass sie sich in Bewegung setzten.
19
Zu Beginn des vierten Jahres nach dem großen Sieg brachte einer der Kundschafter, die Arminius über den Rhenus geschickt hatte, eine überraschende Nachricht: Tiberius war nach Rom zurückgekehrt und seinen Platz als Oberbefehlshaber der inzwischen auf acht Legionen angewachsenen Rhenus-Armee nahm seit zwei Monaten sein achtundzwanzigjähriger Neffe ein, der – auf Wunsch oder vielmehr Befehl des Augustus adoptiert – auch sein Sohn war.
»Mit dem also werden wir es zu tun bekommen«, brummte Arminius, der sich gerade den Bart schabte, als der Kundschafter in die Wohnhalle eintrat und berichtete. »Also mit dem«, wiederholte er, »mit diesem Germanicus.« Er stellte noch ein paar Fragen und befahl dann, den Mann zu beköstigen und sein Pferd zu versorgen.
Nelda stand neben ihm am Herd und wärmte Schneewasser.
»Germanicus?«, fragte sie. »Das ist doch…«
»Natürlich, der ist es«, sagte Arminius missgestimmt. »Der damals mit Tiberius hier war. Schon sein Name ist eine Anmaßung. Sieger über Germanen? Das muss er erst noch beweisen!«
»Mein Vater hat mir mal erklärt, das sei ein erblicher Ehrenname. Weil sein Vater Drusus…«
»Ja, auf diese Art wollen sie ihre Siege verewigen.« Arminius lachte spöttisch. »Eine fragwürdige Methode. Wir haben ihnen ja alles, was der erste ›Germanicus‹ Drusus erobert hatte, längst wieder abgenommen.«
»Ich fand damals diesen Germanicus eigentlich ganz nett«, sagte Nelda,
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