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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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»Bezahlen?«, explodierte er. Seine Haut hatte eh schon eine leicht rosige Farbe, doch nun färbte sie sich rot wie eine Tomate. Selbst seine Ohren wurden dunkelrot. »Und ob ich zahlen werde! Ich werde die Zeitung dafür bezahlen, dass sie ein ganzseitiges Foto von diesem Pferd veröffentlicht, damit die Leute sehen können, mit welchen Methoden Sie arbeiten!«
    »Wenn Sie das tun, dann werden Sie mehr für die ganze Angelegenheit bezahlen, als Sie sich jetzt vorstellen können.«
    Ras sprach so leise, dass Toy ihn nicht hörte. Doch Odell verstand jedes Wort und nahm die Drohung ernst. Er wich vor Ras zurück und schüttelte sich unwillkürlich, um das Gefühl loszuwerden, das ihn beschlichen hatte.
    Ungefähr in diesem Moment führte Toy Snowman am Zügel aus dem Pferch. Ras blieb mitten auf dem Weg stehen und rührte sich nicht, bis Snowman schnaubte, sich aufbäumte und schrie, wie nur ein Pferd schreien kann, das von plötzlicher Wut ergriffen wird. Ras schoss wie ein Blitz davon und sprang über den Zaun, während Snowmans Hufe genau an der Stelle landeten, wo Ras nur wenige Sekunden zuvor gestanden hatte. Nun befand er sich im Kälberpferch und sah aus, als hätte er sich etwas verstaucht.
    Swan, Noble und Bienville hatten das Drama von Swans Schlafzimmerfenster aus beobachtet, von dem man den Hinterhof, die Felder und Weiden dahinter überblicken konnte. Alle drei sahen erfreut, wie Ras beinah bekam, was er verdient hatte, doch die Schadenfreude tröstete sie nicht über ihren Kummer wegen Blade hinweg.
    »Snowman hätte ihn fast erwischt«, flüsterte Noble. Sie nannten das Pferd nicht mehr John, da es Oma Calla in Wirklichkeit gar nicht gehörte und der Name Snowman ohnehin besser zu ihm passte.
    »Da wäre aber viel Blut geflossen«, stellte Bienville fest.
    Swan bedauerte, dass Ras Ballenger so flink auf den Füßen war. Schweigend sahen sie zu, wie Toy und Odell Snowman in den Pferdeanhänger führten. Ras Ballenger machte sich unbemerkt aus dem Staub, während die Kinder hinter Odells Truck herschauten, bis er nicht mehr zu sehen war.
    »Wir werden das Pferd nie wiedersehen«, sagte Bienville.
    Swan biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen, aber es nützte nichts. Schon den ganzen Morgen hatte sie oft geweint, und jetzt ging es wieder los.
    »Zumindest Snowman ist jetzt in Sicherheit«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Blade jedoch könnte noch vor Sonnenuntergang tot sein.«
    Beobachtet man das Verhalten von Vögeln und wilden Tieren, so kann man zu der Überzeugung gelangen, dass sie so ziemlich überall überleben können, weil sie Dinge wissen, die der Mensch vergessen hat, beispielsweise was giftig ist und was nicht, was es bedeutet, wenn es plötzlich zu still wird, und wo man sich verstecken kann, wenn Gefahr droht. Hätte Blade diese Dinge gewusst, hätte er sich den ganzen Tag den Bauch mit Blättern, Sprossen, Beeren und Blüten vollstopfen können, dazu ein paar ausgesuchte Käfer, um die Sache abzurunden. Er hätte auf die Geräusche im Wald gelauscht, und wären sie plötzlich verstummt – von einem lärmenden Chor in tödliche Stille übergegangen –, dann hätte er sich in einem hohlen Stamm verkriechen können oder unter den tief herabhängenden Ästen eines uralten Baumes. Von dort aus hätte er, wie es Tiere tun, lautlos alles beobachten können, bis er den Grund für die Panik herausgefunden hatte und wusste, ob er das auserwählte Opfer war.
    Doch das alles wusste er natürlich nicht, und so tat er das, was die meisten Jungen in seinem Alter getan hätten, wären sie von zu Hause weggelaufen, hätten ein neues Zuhause gefunden und wären dann vor demjenigen weggelaufen, der sie an den Ort hätte zurückbringen wollen, von dem sie zuerst weggelaufen waren. Er ging schwimmen.
    Das Holunderwäldchen grenzte an einen Hain von Weihrauchkiefern an, durch den man auf ein verwildertes Feld gelangte, wo früher Mais angebaut worden war, als John Moses noch Landwirtschaft betrieb. Blade bahnte sich einen Weg durch die Wildnis, bis er den Bach erreichte, dem er dann bis zum alten Schwimmloch folgte.
    Wenn man im Wasser ist, überkommt einen irgendwie immer das Gefühl, dass das Leben leicht ist, und für eine Weile vergaß auch Blade beinah, dass es das ganz und gar nicht war. Er hatte Bienvilles Sachen am Ufer des Bachs abgelegt und fühlte sich so frei wie die kleinen Fische, die in dem seichten Gewässer herumsausten. Während er tauchte und schwamm und sich treiben ließ,

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