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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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geworden. Einige Laternen beleuchteten die Wege. Hätte sie Frau Salbeck von ihrem Verdacht etwas sagen sollen? Aber was, wenn er sich als unbegründet erwies oder wenn sie ihren Neffen warnte? Sie hatte zwar nicht gut von ihm gesprochen, aber Dimitri war das Einzige, was ihr noch geblieben war. Familienbande waren das Stärkste, was es gab, das hatte sie selbst erfahren, dem konnte man nicht entrinnen. Gandhi pisste an den Fahrradständer vorm Restaurant und zerrte sie weiter. Verflixt, wozu kümmerte sie sich auch noch um den Hund anderer Leute? Sie bückte sich und hakte Gandhi von der Leine. Sollte er doch allein zu seinem Frauchen oder Herrchen oder sonst wohin finden. Der Hund sprintete los und verschwand in der Dunkelheit. Carina zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu und stapfte schnell am Kunstpavillon vorbei. Keine Menschenseele weit und breit.
    Fast wäre ihr das Handy runtergefallen, als es plötzlich zu klingeln anfing. Eine unbekannte Nummer.
    »Frau Dr. Kyreleis? Hier Seltenlach.«
    Wer? Ach, Rosa Salbecks alter Zahnarzt. Sie wollte jetzt nicht mit ihm reden, sie hatte keinen Kopf dafür. Doch bevor sie einen Einwand erheben konnte, redete er drauflos.
    »Ihr Anruf hat mir keine Ruhe gelassen. Zum Glück war Ihre Nummer in meinem Telefon noch gespeichert. Also, ich habe noch ein Röntgenbild der jungen Rosa Salbeck gefunden. Ich hatte es 1985 für meine Studie über Implantate aufbewahrt, war ja damals ein ganz neues Feld. Aber der Alltag in der Praxis, Sie verstehen. Es blieben nur die Wochenenden für meine Forschung, dabei jammerte meine Frau schon, wenn ich Überstunden machte … « Er redete und redete, Carina hörte zu, registrierte aber nichts.
    »Können wir das ein anderes Mal besprechen?« Sie fror, und die Bäume um sie her wisperten. Sie wollte hier raus.
    Er ließ sich nicht abwimmeln. »Sie hatten mich doch nach Auffälligkeiten an Rosa Salbecks Gebiss gefragt. Als Zwölfjährige verlor sie bei einem Fahrradsturz die Schneidezähne. Die habe ich ihr dann so gut wie unsichtbar ersetzt. Soll ich Ihnen die Aufnahme ins Institut schicken?«
    Implantate, die waren sofort auf einer Röntgenaufnahme als leuchtendes Weiß zu erkennen, im Gegensatz zum Grau der natürlichen Zähne. Also war die Tote nicht Rosa Salbeck. Carina nannte die Adresse des Instituts für Rechtsmedizin und hastete zum Torbogen des Alten Botanischen Gartens. Zwei Straßen weiter befand sich eine Polizeistation.

62.
    Dimitri kannte die Frau mit dem Hund, die mit seiner Tante im Restaurant gesprochen hatte. Er wusste nur nicht, woher. Auch den Hund hatte er schon einmal gesehen, nur wo? Sosehr er in seinem Gedächtnis wühlte, er brachte kein Gesicht zum Vorschein, weder von Tier noch Mensch, das er ihr zuordnen konnte. Leider sprach sie nicht viel, sonst hätte er ihre Stimme irgendwie zuordnen können. War sie vielleicht die gerahmte Frau des Kaisers, dieses Sozialarbeiters? Was wollte sie von seiner Tante? Ihn in seinem Auftrag zum Mensch-ärgere-dich-nicht abholen, oder was?
    Aber egal, zuerst musste er die Verpfuschte dahin bringen, wohin sie gehörte. Sie musste weg, sie stank ja seine ganze Glypothek voll. Überall wimmelte es von Fliegen, trotz der Decke, in die er sie gewickelt hatte. Vom Regen der letzten Tage war Wasser unter der Türschwelle durchgelaufen. Trotzdem würde er alles schrubben müssen, bevor er nach einem neuen Gesicht Ausschau hielt.
    Und das Päckchen am Boden störte ihn zusätzlich. Ständig stieg er darüber oder tänzelte darum herum.
    Von seiner Tante bekam er schon lange keine Geschenke mehr. Seine Geburtstage bestanden aus Vorwürfen und Schimpftiraden: Er solle endlich eine richtige Ausbildung beginnen, irgendwann mit dreißig sei es dann zu spät. Dreißig, das war noch fast, ja fast eine Ewigkeit und … soundso lange hin. Im Rechnen war er noch nie gut gewesen, obwohl ihm Zahlen gefielen. Die reimten sich und ergaben eine Melodie, die man klopfen oder stampfen konnte. Wie die, die auf dem Papierschnipsel in dem Ring gestanden hatte. Seine Tante wusste nicht, dass er das Fitzelchen Papier gefunden hatte. Bestimmt war es das Hochzeitsdatum seiner Eltern. 030287 … oder war es 020378 gewesen? Deshalb durften auch seine Geliebten diesen Ring tragen. Es wurmte ihn, dass Eva ihn behalten hatte. Wie sollte er es nur anstellen, ihn zurückzubekommen?
    Und dieses Geschenk am Boden nervte. Als er den Leichnam anheben wollte, blieb er mit der Schuhspitze in der Schleife hängen. Er setzte die

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