Die Gewandschneiderin (German Edition)
kratzte sich in einem fort die Arme.
"Wenn ich nicht fahre, dreht er mir den Hals um, da brauche ich den Sensenmann nicht. Außerdem geht es mir gut, alte Vettel ! Wie oft soll ich dir das noch sagen?" Er rülpste, laut und vernehmlich.
Wiffi humpelte auf ihn zu und legte ihm einen Arm um die Mitte.
"Geht es wieder los?" , fragte sie besorgt.
Er schüttelte den Arm ab.
"Nein. Ich bekomme nur nicht genug zu essen. Hast du wenigstens für unser leibliches Wohl auf der Reise gesorgt? Oder willst du uns verhungern lassen?", zeterte er. "Pack mehr ein als beim letzten Mal, und denk auch an die Heringe."
" Von den Fischen darfst du nur zwei, drei essen. Die Nonne hat gesagt ..."
" Halt mir diese Kurpfuscherin vom Leib! Die gönnt mir nur das Essen nicht. Ein Mittel hat sie auch nicht gegen mein Leiden. Die Heringe sind ganz frisch, wie soll mir davon schlecht werden? Kannst du nicht einmal das tun, was ich dir befehle? Muss ich mir doch eine gehorsamere Magd suchen?"
Wiffi drehte ihm ohne ein Wort den Rücken zu und hinkte davon. Anna wich zum Schneidertisch zurück und kramte verlegen in den Körben.
" Ah, hier steckst du, Anna!" Meister Spierl ließ sich auf seinen Stuhl sinken. "Zeig mir, was du für die Reise eingepackt hast. Nein, zeig mir lieber, was du wieder ausgepackt hast - damit sind wir schneller fertig."
Anfangs hatte sich Anna ständig umgeblickt. Der erste Regen seit Tagen hatte die Landschaft in undurchdringlichen Dunst gehüllt, der sich als feuchte Schicht auf ihre Haut gelegt hatte. Bis sie aus der Stadt hinaus waren, hatte Anna den Schleier einer verheirateten Frau um den Kopf getragen und ihn trotz der Schwüle tief ins Gesicht gezogen. Zum einen schützte er vor dem leichten Regen, zum anderen vor neugierigen Blicken. Doch je weiter sie sich von Trier entfernte, desto unsinniger kam ihr die Verhüllung vor, und sie legte das Tuch ab. Es war schon lange her, dass Heinz sie angezeigt hatte, er würde nicht mehr nach ihr suchen.
Nun , am Ende ihres ersten Reisetages, lagerte sie auf dem Rastplatz, und ihre Ängste schienen nur noch Hirngespinste zu sein. Auch um das leibliche Wohl brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Es gab Kisten mit Obst und Honigkrügen, Säckchen mit Käse, Brot und Dörrfleisch, sogar ein kleines Holzfass mit Heringen stand geöffnet im Gras. Anna, etwas abseits vom Feuer, ließ sich nicht lange bitten. Am Tag vor der Abreise hatte sie vor Aufregung kaum etwas gegessen, dafür schien sie an diesem Abend einfach nicht satt zu werden. Ihr Blick fiel auf die Heringe.
" Kann ich noch einen Hering haben?", bat sie.
Meister Spierl nickte mit vollen Backen. Inzwischen verschlang er schon den dritten oder vierten Fisch. Das Fässchen enthielt offenbar Unmengen davon.
Anna schob sich auf der Seite, die vom Feuer am weitesten entfernt war, an das Fässchen heran und griff beherzt zu, damit ihr der glitschige Leckerbissen nicht entkam.
" War Wiffi nicht dagegen, uns so viele Heringe mitzugeben? Wie fürsorglich, dass sie uns doch so reichlich damit versorgt hat!"
„Hmmh.“ Meister Spierl verschluckte einen Heringsschwanz und nickte mit hochgezogenen Schultern. Seine Ohren wurden so rot wie seine Zehen, wenn er einen Anfall hatte. Es dauerte einen Augenblick, aber dann begriff Anna. Der Meister schwindelte. Aber wie hatte er das Fass an Wiffis Biberaugen vorbeibekommen? Was hatte die Magd gesagt? Von den Fischen darfst du nur zwei oder drei essen ...
Meister Spierl schluckte, fast ohne zu kauen. Wenn er wieder krank wurde, war alles für die Katz. Anna erhob sich und richtete sich zu voller Größe vor dem Fässchen auf, als der Gewandschneider gerade nach dem nächsten Fisch greifen wollte.
" Am besten, ich verstaue das Fässchen wieder. Wiffi könnte böse werden, wenn wir alle aufessen."
Als er Wiffis Namen hörte, zuckte Spierl zusammen. "Schon gut, räum’s weg", gestand er Anna zu. Dann humpelte er murmelnd zu seinem Lager und ließ sich umständlich darauf nieder.
"Hau dich auch hin, Mädchen !“, grunzte der Fuhrknecht. „Ich kümmere mich ums Feuer."
Anna nickte. Außerhalb von Meister Spierls Reichweite, ganz hinten unter dem Wagen, versteckte sie das Heringsfass. Falls der Meister nachts auf dumme Gedanken kam …
Der Mond schwamm in den Dunstschleiern am düsteren Himmel wie eine verlorene Seele. Anna schauderte. Wenigstens wirkte ihr Lager unter dem Baum mit den Decken und dem Fell geradezu tröstlich.
Sanftes Schnarchen wehte vom Meister
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