Die Gewürzhändlerin
gebraucht, bis sie den Dreh herausgehabt hatte. Zwar konnte sie es noch immer bei weitem nicht mit Elisabeths Stickkunst aufnehmen, doch für ein paar hübsche Verzierungen ihrer Kleider reichte ihre Fertigkeit allemal.
Geduldig führte sie die Hand des Mädchens und korrigierte pflichtbewusst ihre Haltung, wenn sie gar zu krumm auf der Bank saß. Mit einem Ohr hörte sie plötzlich ein lautes Pochen an der Haustür, beachtete es jedoch nicht weiter. Selbst jetzt im tiefsten Winter kamen beinahe täglich Boten mit Nachrichten von Elisabeths oder Johanns Ländereien. Vor zwei Tagen war Johann zu seinem Gut bei Rheinbach aufgebrochen, weil es dort Unstimmigkeiten mit dem Verwalter gegeben hatte. Elisabeth kümmerte sich unterdessen um die übrigen gesellschaftlichen und geschäftlichen Verpflichtungen ihres Gatten, die heute darin bestanden, wieder einmal an einem nachmittäglichen Treffen mit Carissima von Ders und deren Töchtern teilzunehmen.
«Schau, hier musst du mit einem neuen Faden beginnen», erklärte Luzia dem Mädchen gerade und deutete auf die Auswahl an Garnen in dem kleinen Handarbeitskorb, der neben ihnen auf dem Tisch stand. «Für die Blätter der Ranken wäre ein helles Grün am vorteilhaftesten. Du könntest aber auch …» Sie brach ab und blickte auf, als sich die Tür zur Stube öffnete und Bruder Georg eintrat. Beim Anblick seines besorgten Gesichts stand sie rasch auf. «Gibt es etwas, Bruder Georg? Ist etwas geschehen?»
«In der Tat, Luzia.» Seine Stimme verriet seine Besorgnis. «Aber erschreckt nicht zu sehr; es scheint nicht so schlimm zu sein, wie es sich anhört.»
«Was ist nicht so schlimm, wie es sich anhört?» Erschrocken fasste sie ihn am Arm. «So sagt doch schon!»
Beruhigend tätschelte er ihre Hand. «Es geht um Euren Bruder. Es scheint, als habe er einen Unfall erlitten.»
«O Gott!»
«Er ist verletzt, aber bei Bewusstsein. Wenn ich es recht verstanden habe, ist er ganz allein von Lahnstein hierhergeritten.»
«Von Lahnstein?» Verständnislos sah sie den Mönch an.
Er hob die Schultern. «Der Knecht, der uns die Nachricht gebracht hat, weiß wohl auch nicht mehr.»
«Welcher Knecht? Alban?»
«Nein, ein junger Mann war es. Er hat seinen Namen nicht genannt.»
«Ich muss sofort zu ihm!»
«Herr Wied lässt Euch ausrichten, das sei nicht nötig. Anton ist in den besten Händen. Magister Christian kümmert sich um ihn und …»
«Nicht nötig? Bei allen Heiligen, selbstverständlich ist es nötig. Anton ist mein Bruder!» Schon war sie an der Tür. «Ich hole nur meinen Mantel. Bruder Georg, würdet Ihr mich bitte begleiten?» Bevor er antworten konnte, war sie bereits losgeeilt. Ihre Schritte hallten auf der Stiege wider.
Bruder Georg seufzte ergeben. «Natürlich begleite ich Euch, Jungfer Luzia.»
* * *
«Ihr hättet nicht zu kommen brauchen», sagte Martin, ohne sich umzudrehen, als Luzia kurz darauf Antons Kammer betrat.
«Ach nein?», fauchte Luzia. «Hier geht es um meinen Bruder. Glaubt Ihr tatsächlich, ich bleibe ruhig zu Hause sitzen, während er hier schwer verletzt liegt?» Rasch trat sie an das Bett und legte Anton sanft eine Hand auf die Stirn.
Zaghaft lächelte er sie an. «Luzia, du hättest wirklich nicht herzukommen brauchen. So schlimm ist es doch nicht.»
«Jetzt fang du nicht auch noch an!», schimpfte sie liebevoll. Dann wandte sie sich an Martin. «Was ist überhaupt geschehen?» Ohne zu fragen, setzte sie sich vorsichtig auf die Bettkante und nahm Antons Hand.
Martin erhob sich von dem Schemel, auf dem er bisher gesessen hatte. «Das erzählt Euch Anton am besten selbst. Ich muss jetzt fort. Habe nur auf Eure Ankunft gewartet.»
«Auf meine Ankunft? Ihr sagtet doch eben, ich bräuchte nicht …»
«Luzia», unterbrach er sie mit einem gequälten Lächeln. «Glaubt Ihr nicht, ich würde Euch inzwischen gut genug kennen? Ich muss nach Lahnstein aufbrechen. Gott allein weiß nämlich, wie es meinem Bruder geht.»
«Konrad?» Erschrocken sprang sie auf. «Was ist mit ihm? Ist er auch verletzt? Ich wusste nicht …» Sie blickte auf das mit einem Holzladen verschlossene Fenster und dann auf die große Öllampe, die neben dem Bett Licht spendete. «Es wird bereits dunkel, Herr Wied. Ihr könnt unmöglich jetzt noch nach Lahnstein aufbrechen. Außerdem hat es wieder angefangen zu schneien.»
Er schüttelte nachsichtig den Kopf. «Luzia, hier geht es um meinen Bruder. Glaubt Ihr tatsächlich, ich bleibe ruhig zu Hause sitzen, während
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