Die Gewürzhändlerin
Natur bestaunt, was man als Andacht werten könnte. Damit wäret Ihr aus der Gefahr heraus, der Sündhaftigkeit zu verfallen.»
Luzia runzelte die Stirn. «Seid Ihr hergekommen, um mich zu beleidigen?»
«Ganz im Gegenteil.» Martin trat ein paar Schritte näher, blieb aber stehen, als er die unbewusste Abwehr in ihren Augen wahrnahm. «Ich dachte, heute sei ein guter Zeitpunkt, mir Euer Kruzifix anzusehen. Denn wenn ich es jetzt nicht tue, werde ich vermutlich in den nächsten drei Wochen nicht mehr dazu kommen.»
«Wegen des Jahrmarktes.»
«So ist es.»
«Frau Elisabeth ist nicht hier.»
«Ich weiß. Auf dem Weg hierher sah ich sie in Johanns und Frau Juttas Gesellschaft über den Florinshof gehen. Und war das Adele bei ihnen? Das Mädchen ist ausgesprochen hübsch geworden. Wie ich hörte, soll sie bald nach Reifferscheid hin heiraten.»
«Dem ist wohl so.» Luzia widerstand dem Drang, ihre Arme vor dem Leib zu verschränken. Sie wollte nicht unhöflich wirken, fühlte sich aber in Martins Gesellschaft wie immer äußerst befangen. Sie räusperte sich. «Wollt Ihr hereinkommen?»
Sie ging ihm voran ins Haus und rief nach Hilla, die daraufhin missmutig den Kopf aus der Küchentür streckte.
«Was is’ denn jetzt schon wieder, Luzia? Reicht es nicht, das Josefa mich ständig … Oh.» Als sie Martin hinter Luzia auftauchen sah, verstummte sie erschrocken und wurde rot. «Ich, äh … Soll ich Wein bringen?»
Luzia nickte nur und warf der Magd einen scharfen Blick zu. Hinter sich hörte sie Martin leise glucksen. Wenn das so weiterging, würde sie zukünftig wohl ständig das Ziel seines Spottes sein.
Sie führte Martin in die Stube und wartete, bis Hilla ihm Wein in einen Zinnbecher gefüllt hatte. «Ihr wollt also das Kruzifix sehen», sagte sie, als sie sicher war, dass die Magd wieder die Küche aufgesucht hatte. «Normalerweise trage ich es bei mir, aber seit ein paar Tagen verwahre ich es oben in meiner Kammer.»
«Warum?»
Luzia zögerte. Sobald er das Silberkreuz sähe, würde sie um eine Erklärung nicht mehr herumkommen. Sie straffte die Schultern. «Ich hole es.» Sie spürte Martins aufmerksamen Blick in ihrem Rücken, als sie den Raum verließ.
Schon auf der Stiege ins obere Geschoss überkam sie ein merkwürdiges Gefühl. Als sie ihre Kammer betrat, blieb sie erschrocken stehen und starrte auf das verschlossene Kästchen, welches das Kruzifix enthielt. Goldenes Licht drang durch die Ritzen des Deckels, und ein helles, drängendes Geräusch war zu vernehmen, das fast wie das Zirpen einer Grille klang. Luzias Herz begann zu rasen. Einen langen Moment war sie wie gelähmt, bevor sie vorsichtig darauf zutrat. Sie fühlte die Wärme, die das Kreuz ausstrahlte, durch den hölzernen Deckel hindurch.
Vorsichtig streckte sie die Hand aus und öffnete die Schatulle. Das Kruzifix leuchtete auf, dann verblasste das Licht; nur ein heller Schimmer um die Kanten herum verblieb und ließ das Silber mystisch glänzen. Luzia berührte es vorsichtig. Es fühlte sich warm, aber nicht unangenehm an. Atemlos nahm sie es in die Hand und überlegte dabei fieberhaft, wie sie dem Kaufmann unten in der Stube die magischen Fähigkeiten der Reliquie erklären sollte.
* * *
Sinnierend betrachtete Martin die angefangene Stickerei, die in dem kleinen Handarbeitskorb auf dem Tisch lag. Damit war Luzia offenbar bis vor Kurzem beschäftigt gewesen. Natürlich hatte er sie mit seinem Kommentar über Müßiggang nur aufziehen wollen. Er glaubte nicht, dass jemand wie Luzia überhaupt wusste, was Langeweile war. Und Elisabeth würde das süße Nichtstun auch sicherlich nicht gutheißen, war sie doch selbst so gut wie immer mit irgendetwas beschäftigt.
In Wahrheit hatte er die eigenen abschweifenden Gedanken beim Anblick Luzias mit seinen Worten vertreiben wollen. Sie hatte ausgesprochen hübsch ausgesehen, wie sie da im Hof gestanden und dem Schmetterling nachgesehen hatte. Wie schon vor zwei Jahren fiel es Martin nicht leicht, sie sich als Tochter eines einfachen Bauern vorzustellen, ob er nun frei geboren gewesen war oder nicht. Sicher lag dies an ihren Kleidern und der eleganten Haartracht. Elisabeth tat wirklich ihr Bestes, den Stand ihrer Leibmagd zu verbergen. Weshalb wohl? Hoffte sie auf diese Weise, einen höhergeborenen Mann für Luzia zu begeistern? Die Freundschaft der beiden Frauen war sehr eng, das war nicht zu übersehen. Ob Elisabeth Luzia jedoch wirklich einen Gefallen tat, dessen war sich Martin nicht
Weitere Kostenlose Bücher