Die Gewürzhändlerin
Kreuz hat aufgehört, zu summen und zu leuchten. Es fühlt sich noch immer etwas warm an, aber sonst …» Sie hielt es ihm hin. «Fühlt selbst.»
Zögernd nahm Martin ihr die Reliquie ab und betrachtete sie eingehend. «Ich kann nichts Ungewöhnliches feststellen», sagte er schließlich mit einem Achselzucken.
«Das meine ich ja. Jetzt, da die Kette wieder mit dem Rahmen verbunden ist, verhält sich das Kruzifix nicht mehr so seltsam wie zuvor.» Nachdenklich blickte Luzia auf das Schmuckstück und konnte dabei nicht umhin, auch die Brandnarben an Martins Hand und den verkrüppelten kleinen Finger mehr als deutlich wahrzunehmen. Als ihr bewusst wurde, dass sie seine Hand anstarrte, riss sie sich zusammen und hob den Kopf wieder. Dabei begegnete sie seinem Blick, der forschend und unverwandt auf ihr ruhte. Rasch wandte sie sich ein wenig zur Seite und räusperte sich.
«Was machen wir mit dem Kreuz?», fragte er, nun wieder in seinem üblichen ruhigen und freundlichen Tonfall.
Luzia sah ihn wieder an. «Ich weiß nicht. Wollt Ihr die Kette wieder mitnehmen? Immerhin gehört sie Euch.»
Martin schüttelte den Kopf. «Nach allem, was ich heute gesehen und gehört habe, glaube ich das nicht mehr so recht. Ich habe eher das Gefühl, die Kette gehört dem Kruzifix. Ich schlage vor, wir belassen sie an Ort und Stelle. Tragt sie oder legt sie in die Schatulle zurück.»
«Ich soll die Kette behalten?» Ungläubig starrte Luzia ihn an. «Aber …»
«Ich möchte mir erst einmal über die eine oder andere Sache klarwerden», unterbrach er sie. «Auch möchte ich mich sehr gerne einmal mit Bruder Georg unterhalten.»
«Aber die Kette gehört Euch. Sie ist Euer Anteil des Schwurs.»
«Luzia …» Wieder schüttelte er den Kopf. «Die Kette war, soweit ich es verstanden habe, eine Art Unterpfand und Anteil an der Kreuzzugsbeute unserer Ahnväter. Sie wieder mit den anderen beiden Teilen zu verbinden hebt den Schwur ja nicht auf. Oder ist dies geschehen, als Ihr und Elisabeth Kreuz und Rahmen wieder miteinander verbunden habt?»
«Nein.»
«Seht Ihr, deshalb halte ich es für sinnvoll, nun alle drei Teile an einem Ort aufzubewahren. Immerhin leben wir in derselben Stadt; sollte mich also der Wunsch überkommen, die Kette anzusehen, habe ich es nicht weit.»
«Aber …»
«Luzia!» Martin verdrehte die Augen und bemühte sich, ein Lachen zu unterdrücken. «Hat Euch schon einmal jemand gesagt, dass es unhöflich ist, einem Gast ständig zu widersprechen?»
Luzia klappte den Mund zu und starrte ihn verblüfft an, dann runzelte sie die Stirn. «Stellt Ihr etwa schon wieder meine Manieren in Frage?»
«Wenn es nötig scheint.» Martin grinste breit. Er konnte an ihrer Miene ablesen, dass sie nach einer passenden Erwiderung suchte, diese dann fand und sie in letzter Sekunde hinunterschluckte. Fast war er ein wenig enttäuscht darüber.
«Ihr lasst die Kette also hier.»
«Das hatte ich im Sinn, ja.» Er trat noch einen Schritt auf sie zu und ignorierte diesmal das warnende Aufblitzen in ihren Augen. «Schaut, Luzia, so wie ich es sehe, seid Ihr – und Elisabeth – ganz offensichtlich weit erfahrener in der …» – er zögerte kurz – «… Handhabung dieser Reliquie. Was sollte ich wohl mir ihr anfangen? Außerdem gibt sie mir eine Entschuldigung an die Hand, Euch in Zukunft wieder aufzusuchen.»
Bei Martins verändertem Tonfall verengten sich Luzias Augen zu Schlitzen. «Und Ihr glaubt, eine Entschuldigung dafür zu brauchen, weil …»
Martin zwinkerte ihr zu und ging zur Tür. «Mit diesem Rätsel werde ich Euch nun alleine lassen, werte Jungfer. Entschuldigt mich nun, ich habe noch einiges zu tun.» Er nickte noch einmal höflich und verließ die Stube.
Etwas benommen starrte Luzia auf die Stelle, auf der er eben noch gestanden hatte. Sie wurde einfach nicht klug aus diesem Mann, doch die Anspielung in seinen Worten war ihr nicht entgangen. Schon einmal, ganz zu Beginn ihrer Bekanntschaft, hatte er etwas zu ihr gesagt, das in ihren Ohren stark nach einem unschicklichen Antrag geklungen hatte. Und wenn sie sich nicht sehr täuschte, befand sich der Kaufmann auch jetzt wieder auf einem ähnlichen Kurs. Einen Moment lang überlegte Luzia, ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte, verwarf diesen Gedanken jedoch sogleich wieder. Nein, schmeichelhaft war dies ganz gewiss nicht. Vielmehr schien er zu glauben, dass sie aufgrund ihrer untergeordneten Stellung eine leichte Beute für seine Spielchen war. Doch sie
Weitere Kostenlose Bücher