Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Brennhof umher wie Maden auf einer Leiche, und Rani konnte kaum glauben, dass der Ofen, der ihr Schutz geboten hatte, bereits zu Schutt geworden war.
Die Zerstörung war jedoch nichts gegen den Tumult in ihrer Nähe. Cook war von einem halben Dutzend Soldaten umgeben. Die Schreie der Frau hallten über die Obstplantage hinweg. »Ihr verdammten Dummköpfe!« Cooks Stimme war schrill vor Schmerz. »Im Namen Lans, findet den wahren Mörder – findet Ausbilderin Morada und überlasst uns der Trauer um den Prinzen!«
Rani erkannte, dass Cook diese letzten Worte an sie gerichtet hatte, gerade als die Soldaten vorwärtsstürzten und sie stumm prügelten. Rani wandte den Blick mühsam ab und zwang sich, die Ablenkung zu nutzen, solange alle Soldaten ihre Aufmerksamkeit auf die rebellische, alte Frau richteten.
Sie ließ sich von der Steinumfriedung fallen und dachte kaum daran, sich abzurollen, als sie schon auf dem Boden auftraf. Erneut wurde ihr der Atem aus den Lungen gepresst, und sie brauchte eine lange Minute, um sich zu erinnern, wie sie aufstehen musste, wie sie ihre Arme und Beine sammeln und loslaufen musste – laufen, als wenn Wölfe sie unter dem Schutz der Nacht jagten.
Bald war Rani jedoch gezwungen, in ihrer überstürzten Flucht innezuhalten, weil sie erschöpft nach Atem rang und weinte wie ein Säugling. Sie trank aus einem Brunnen im Herzen des Viertels der Gildeleute und haderte mit sich. Sie benahm sich lächerlich. Sie hatte nicht einmal geweint, als sie im Gildehaus angekommen war, als sie ganz allein auf der Welt gewesen war. Gewiss würde sie jetzt keine Schande über sich und ihre Gilde bringen, indem sie wie ein Kleinkind in der Nacht heulte. Cook würde mehr von ihr erwarten. Die alte Frau würde es Rani niemals verzeihen, wenn sie die Glasmaler mit Tränen entehrte, die nur bewiesen, dass sie zu schwach war, um zu ihrer gegenwärtigen Kaste zu gehören.
Tatsächlich sollte Rani mit der neuen Kraft haushalten, die sie gewonnen hatte, mit der neuen Macht, die ihren Geist schärfte und ihrem Körper Kraft verlieh. Es war, als wäre Cooks Anrufung Lans erhört worden, als hätte der Küchengott Rani tatsächlich als sein Eigen angenommen. Wie sonst könnte ein einsamer Lehrling einer gesamten Kompanieabteilung Soldaten entkommen?
Rani schwor, bei nächster Gelegenheit eine Kerze für Lan anzuzünden. Der Küchengott… er war ein seltsamer Schutzherr für eine Händlertochter, die zur Glasmalerin geworden war. Aber wenn Lan es für richtig erachtet hatte, Cooks Gebete zu erhören, wer war Rani dann, dagegen zu protestieren? Wer war Rani, ihren Rangälteren und Vorgesetzten zu widersprechen?
Ranis schweigende Standpauke tat ihre Wirkung, und sie zog sich in einen tiefen Eingang zurück und sammelte ihre Gedanken. Suche Morada, das hatte Cook gesagt. Wie sollte sie das anstellen – ein Lehrling ohne Bürgerrechte, der die Straßen der Stadt durchwanderte, ohne dass sein Leben auch nur noch einen Heller wert war?
Ranis Kopf hämmerte, und sie erinnerte sich an den tröstlichen Kräutertee, den ihre Mutter gekocht hatte, wann immer sie krank war. Der Gedanke trieb ihr erneut Tränen in die Augen. Sie stellte sich vor, wie die kühle Hand ihrer Mutter auf ihrer Stirn lag, ihr das Haar zurückstrich, Angst und Erschöpfung und kindliche Albträume vertrieb.
Ihre Familie hatte sie vielleicht in die Gilde eingekauft, und sie fürchteten womöglich den Zorn der Soldaten Shanoranvillis, aber sie würden sie gewiss wieder aufnehmen. Das war es, was Familie bedeutete.
Rani lief durch die Straßen. Bis auf die Pilgerglocke, die in der nebligen Nacht unablässig läutete, war die Stadt still. Das beständige Klingen war tröstlich. Rani hatte es jede Nacht ihres Lebens gehört. Sie riss ihre Gedanken gewaltsam von Prinz Tuvashanoran und seiner verwegenen Heldentat los, die verwaiste Pilgerglocke zu bemannen. Jene Geschichten gehörten der Vergangenheit an, sie waren so tot wie der Mann, der sie bewirkt hatte.
Rani lief schneller, als sie sich dem Händlerviertel näherte. Dort kannte sie die Straßen. Sie hatte als kleines Kind dort gespielt und diese Straßen durchstreift, um Kunden an den Stand ihrer Familie zu locken. Sie wusste, wie sich die Pflastersteine auf diesem Flecken wölbten und duckte sich unwillkürlich durch ein Steintor, um den kleinen Hof des Töpfers an einer Ecke in der Nähe ihres Elternhauses zu durchqueren.
Obwohl Rani vor Erschöpfung zitterte, schlich sich ein Lächeln auf
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