Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Musik schwebte von vielen Baikonen herab, ein zartes Anstimmen von Lauten, und zittrige, weibliche Stimmen woben sich durch die Luft wie zarte Rosen über ein Spalier.
Wächter standen vor vielen Häusern, ihre breite Brust von der Livree ihrer Dienstherren bedeckt. Rani konnte den Duft von Herbstblumen riechen – unzählige Blüten, die in üppigen Gärten, von Steinmauern geschützt, sorgfältig gepflegt wurden. Das Leben der Adligen war so anders, dass sich Rani in einem anderen Land hätte befinden können, in einer Welt, die so fern war wie der Mond.
Die Kinder der Unberührbaren ignorierten die Wunder dieser neuen Umgebung und verwendeten ihre erhebliche Energie stattdessen darauf, unbemerkt von Eingang zu Eingang zu huschen. Rani wurde rasch von den Hauptstraßen in die ruhigeren Gassen geführt, die sich hinter den Villen der Adligen wie Adern ausbreiteten. Hinter jedem Anwesen befand sich ein Gang, und Rani staunte über die Extravaganz des Wohllebens. In einer Gasse fanden sie ein Fässchen Ale, halb eingeschlagen, aber mit mehreren Zoll am Boden verbliebenem, guten Bier. In einer anderen Gasse zankte sich eine Schar Stare um die Reste mehrerer Dutzend Brotlaibe. Die Vögel konnten den Kindern nichts entgegenhalten. Sie wurden von Rabes energischem Vorschlag vertrieben, die Unberührbaren sollten sich an Starenkuchen gütlich tun.
Und die ganze Zeit führte Mair die Schar an und schaute um unübersichtliche Ecken, um sicherzugehen, dass kein Wächter an einer ungünstigen Stelle stand. Sie traf die endgültige Entscheidung bei allen Gegenständen, die ein adliges Wappen trugen, wog die Sicherheit gegen den Wert ab, den Schutz gegen den Reichtum. Mair befahl ihrer Truppe mehr als einmal, einen Umhang oder eine Tunika oder – in einem überraschenden Fall – einen trägen Jagdhundwelpen zurückzulassen, da sie von ihren adligen Besitzern eindeutig gekennzeichnet waren und ihnen auf lange Sicht geneidet werden könnten, vermisst werden könnten, wenn sie bei einem Kind der Unberührbaren gefunden würden, selbst wenn diese Schätze wie Müll fortgeworfen worden waren.
Rani belebte diese Suche. Sie stellte sich vor, sie befände sich auf einer der Einkaufstouren ihres Vaters, um Schätze zu finden, die den Händlerstand bereichern würden.
Einmal hätte sie sich wegen eines Paars Lederhandschuhe beinahe mit Rabe geprügelt. Sie mussten für eine Lady gemacht worden sein – die Lederfinger waren schmal und so kurz gearbeitet, dass sie den Kindern passten. Rabe fand den linken Handschuh zur gleichen Zeit oben auf einem Haufen Müll, als Rani den rechten fand, gegen eine Steinmauer in der Gasse geweht. Während Rabe die schmutzige Manschette zurückschlug, die einen abgetragenen Saum verbarg, forderte er Rani auf, ihren Schatz auszuhändigen.
Rani kümmerten die Handschuhe nicht, bis sie erkannte, wie sehr Rabe sie wollte. Da bekam das blau gefärbte Leder einen besonderen Reiz, wurde zur perfekten Ergänzung zu Farnas Umhang. Rani reckte das Kinn vor, während sie die Füße in den Schmutz der Gasse stemmte. Letztendlich legte Mair den Streit bei.
Rani trug die Handschuhe den restlichen Tag über, auch wenn sie ihre Bemühungen bei einiger der schmutzigeren Durchstöberungen behinderten.
In dieser Nacht ließ sich die Schar in Behelfsquartieren nieder, in den schmalen Gassen zwischen den etablierten Stadtvierteln. Mair hatte dafür gesorgt, dass jeder ihrer Schützlinge genug zu essen hatte, und hielt inne, um mit jedem Kind zu reden und den einen oder anderen Schatz zu bewundern. Als sich die abgerissene Schar zum Schlafen niederließ, benannte Mair die erste Wache und setzte sich dann neben Rani.
»Haste gut gemacht, für’n Mädchen, das die Adligen noch nie vorher gefilzt hat.« Rani streckte die Hände aus und nutzte den Mondschein, um ihre kostbaren Handschuhe genau zu betrachten. Mair setzte sich bequemer hin und zog eine zerlumpte Decke aus ihrem gut gepackten Beutel. »Rabe wird nie dein Freund werden, wenn du dich ihm gegenüber weiter wegen deiner Wurzeln aufspielst.«
»Aufspielen!«, rief Rani aus, senkte aber die Stimme, als sich schläfrige Augen auf sie beide richteten. »Er ist derjenige, der sich mir gegenüber aufspielt. Seitdem du mich aufgefordert hast, mich eurer Gruppe anzuschließen.«
»Er hat Angst, Rai. Er fürchtet, die einzige Familie zu verlieren, die er aufer ganzen Welt hat.«
Rani schnaubte. »Ich will ihm seinen Platz bei euch nicht streitig machen.«
»Du hast
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