Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
mit ungläubigem Lachen angenommen, hatte Rani auf ihrer Suche vorangetrieben.
Auf ihrer Suche. Zu ihrer Muße. Tod ist Ruhe.
Tod ist Ruhe.
Warum hatte Shanoranvilli das kindliche Opfer nicht abgelehnt? Warum hatte der alte König nicht darauf bestanden, dass Rani nicht die Erste Pilgerin sein könne, dass sie zu jung sei? Dann wäre Rani vielleicht noch am Leben. Shanoranvilli könnte seinen Thron noch innehaben. Halaravilli könnte in der Ecke genau dieses Kinderzimmers in Ruhe seine Soldaten aufreihen. Wie ein Junge spielen und sich bewegen. Irgendetwas tun und sich regen.
Irgendetwas anderes tun, als dieses Pergament zu lesen, es erneut zu lesen und zu erkennen, dass es nach Tod roch. Tod für Rani. Tod für Soldaten, die kämpfen würden, um das Händlermädchen zu rächen. Tod für Bashi, der sie alle in solche Not gebracht hatte. Höchstwahrscheinlich Tod für Hal, der von der Gefolgschaft des Jair zur Strecke gebracht würde, weil er sich gegen ihre Befehle auflehnte, auch wenn er diesen Krieg im Norden irgendwie überlebte.
Denn Hal hatte jetzt keine Wahl mehr. Er hatte mit Sin Hazar einen gestelzten Austausch von Briefen geführt, zwei in jede Richtung. Der König von Amanthia hatte deutlich gemacht, dass er nichts mehr wünschte, als dass Rani nach Morenia zurückkehrte, zusammen mit Mair und Bashi. Sin Hazar behauptete jedoch, besorgt zu sein, zu befürchten, dass er seinen Geiseln keine sichere Heimreise garantieren könne. Er glaube, dass die Reise nur sicher vonstatten gehen könne, wenn er seine Truppen ins nördliche Morenia verlegen dürfe, in das fruchtbare Grenzland zwischen den beiden Königreichen.
Hal hatte dies natürlich verweigert. Als König konnte er nicht zulassen, dass ganze Abteilungen bewaffneter Männer in seinem Hoheitsgebiet lagerten. Stattdessen hatte Hal empfohlen, die drei Geiseln mit dem nächsten verfügbaren Schiff zurückzuschicken, ohne weitere Fragen, ohne weitere Drohungen zwischen den Parteien.
Sin Hazar hatte mit einer direkten Forderung nach Lösegeld gekontert. Gold, Juwelen, Wagenladungen voll Eisen – der König hatte eine lange Liste von Forderungen gestellt. Er bemerkte dazu, dass solcher Reichtum nötig wäre, wenn er weiterhin seinen kostspieligen Feldzug gegen die Liantiner jenseits des Meeres planen wolle. Er deutete an, dass er nicht zögern würde, seine Männer auf leichtere Ziele anzusetzen, wenn er sie nicht übers Meer schicken könne. Er würde sein Heer nach Süden schicken, nach Morenia.
Hal weigerte sich erneut. Und er forderte erneut die Rückkehr der drei Gefangenen und fügte noch die unverschämte Drohung hinzu, die amanthianische Grenze mit allen ihm zur Verfügung stehenden Truppen zu verheeren. Und er forderte einen Beweis dafür, dass die Gefangenen lebten – einen Beweis dafür, dass Rani Händlerin als Sin Hazars Gefangene gut behandelt wurde.
Nun, während Hal im Kinderzimmer stand und die Antwort auf seine letzte Forderung in Händen hielt, merkte er, dass er handelte, ohne nachzudenken, ohne zu planen, ohne überhaupt eine bewusste Entscheidung zu treffen. Seine Faust schoss hoch und durch die zerbrechlichen Butzenscheiben. Er befand sich zu hoch oben im Schloss, um das Glas auf den Steinen im Hof unter ihm zerspringen zu hören. Der Wind nutzte den Vorteil augenblicklich, den Hal ihm verschafft hatte, und streckte seine eisigen Finger ins Kinderzimmer.
Zumindest vertrieb die Kälte die Stimmen, stellte den plappernden Wirbel tief in seinem Gehirn ruhig. Hal hob den Brief erneut an, hielt ihn gegen den Zug des Windes fest. Er zwang seine Augen, jeden Buchstaben, jedes überladene Wort zu lesen, das von einem unbekannten Schreiber gestaltet worden war.
»An Seine Majestät, den König von Morenia, Grüße von Eurer treuen Untertanin Ranita Glasmalerin. Ich habe Euer Sendschreiben erhalten und fühle mich durch Eure Sorge um mein Wohlergehen geehrt. Bitte wisst, dass ich im Hause Sin Hazars gut behandelt werde, dass er mir Nahrung und Beistand hat zukommen lassen. Ihr stelltet mir in Eurem Brief eine Frage, und ich gebe Euch die Antwort: Dalarati. Dalarati war derjenige, der für unsere Gefolgschaft durch die Hand eines Händlers gelitten hat. Ihr werdet an meiner Antwort erkennen, dass es mir gut geht und ich von König Sin Hazar beschützt werde. Obwohl ich lieber in Morenia wäre, verstehe ich, dass ich noch eine Weile länger in Amanthia bleiben muss, während Ihr und der König die Staatsangelegenheiten klärt. Ich fühle
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