Die Glasglocke (German Edition)
Klasse nach Yale.
Ich war so überrascht, daß ich ein paar Freudenschreie ausstieß und ins Haus stürzte: »Ich fahre hin ich fahre hin ich fahre hin.«Nach der hellen weißen Sonne auf der Veranda schien es drinnen stockdunkel zu sein, und ich konnte nichts erkennen. Schließlich umarmte ich sogar die Aufsicht führende Studentin. Als sie hörte, daß ich zu diesem Ball nach Yale fahren würde, behandelte sie mich mit erstauntem Respekt.
Seltsamerweise änderte sich danach in unserem Haus einiges. Die Älteren auf meinem Stock fingen an, sich mit mir zu unterhalten, hin und wieder ging auch mal eine von ihnen von selbst ans Telefon, und vor meiner Tür machte niemand mehr häßliche Bemerkungen über Leute, die ihre goldene Collegezeit mit Büchern und Pauken verplempern.
Den ganzen Ball über behandelte Buddy mich wie eine gute Bekannte oder eine Cousine.
Wir tanzten ungefähr eine Meile weit auseinander, bis er zuletzt bei »Auld Lang Syne« plötzlich sein Kinn auf meinen Kopf legte, als wäre er sehr müde. Später gingen wir langsam durch den kalten, schwarzen Drei-Uhr-Wind die fünf Meilen zu dem Haus zurück, wo ich im Wohnzimmer auf einer zu kurzen Couch schlafen sollte, weil das nur fünfzig Cent die Nacht kostete, statt zwei Dollar wie die meisten Unterkünfte mit richtigen Betten.
Ich fühlte mich dumpf und flau, und alle Träume lagen in Trümmern.
Ich hatte mir ausgemalt, Buddy würde sich an diesem Wochenende in mich verlieben, so daß ich mir für den Rest des Jahres keine Gedanken mehr darüber zu machen brauchte, was ich samstagabends tun würde. Als wir uns dem Haus näherten, in dem ich übernachten sollte, sagte Buddy: »Komm, wir gehen zum Chemielabor.«
Ich war entsetzt. »Zum Chemie labor?«
»Ja.« Buddy ergriff meine Hand. »Hinter dem Chemielabor hat man eine schöne Aussicht.«
Und tatsächlich, hinter dem Chemielabor gab es eine Art Hügel, von dem aus man die Lichter einiger Häuser in New Haven sehen konnte.
Ich stand da und tat, als würde ich sie herrlich finden, während Buddy auf dem unebenen Boden Halt suchte. Als er mich küßte, hielt ich die Augen offen und versuchte mir die Abstände zwischen den Lichtern der Häuser einzuprägen, damit ich sie nie mehr vergessen würde.
Schließlich trat Buddy einen Schritt zurück und sagte:
»Uff!«
»Wieso uff?« fragte ich überrascht. Es war ein trockener, nicht besonders anregender kleiner Kuß gewesen, und ich weiß noch, daß ich dachte: Wie dumm, daß unsere Lippen von den fünf Meilen Fußmarsch durch den kalten Wind so rauh sind.
»Uff, es ist ein tolles Gefühl, dich zu küssen.«
Ich schwieg bescheiden.
»Du gehst wohl mit vielen Jungs aus«, sagte Buddy.
»Kann schon sein.« Mir war, als wäre ich das ganze Jahr hindurch jede Woche mit einem anderen Jungen ausgegangen.
»Na ja, ich muß viel für das Studium tun.«
»Ich auch«, warf ich hastig ein. »Ich muß schließlich dafür sorgen, daß ich mein Stipendium behalte.«
»Trotzdem, ich glaube, ich könnte es hinbekommen, daß wir uns an jedem dritten Wochenende treffen.«
»Wie schön.« Ich war halb ohnmächtig und sehnte mich zurück ins College, um es allen zu erzählen.
Buddy küßte mich noch einmal vor der Treppe, die zum Haus hinaufführte, und im nächsten Herbst, als sein Stipendium für die medizinische Fakultät bewilligt wurde, besuchte ich ihn dort, statt in Yale, und dort fand ich dann heraus, wie er mich all die Jahre zum Narren gehalten hatte und was für ein Heuchler er war.
Ich fand es an dem Tag heraus, an dem wir zusahen, wie das Baby geboren wurde.
Sechs
Ich hatte Buddy immer wieder gebeten, mir in seinem Krankenhaus mal ein paar wirklich interessante Sachen zu zeigen, also schwänzte ich eines Freitags meinen Unterricht und fuhr für ein langes Wochenende hinüber, und er gab sich Mühe, mir etwas zu bieten.
Es fing damit an, daß ich mir einen weißen Kittel überzog und auf einem hohen Hocker in einem Raum mit vier Leichen saß, während Buddy und seine Freunde sie aufschnitten. Diese Leichen sahen so wenig wie Menschen aus, daß sie mir überhaupt nichts ausmachten. Sie hatten eine ledrig steife, purpurschwarze Haut und rochen wie alte Gläser mit eingelegten Gurken.
Nachher führte mich Buddy einen Gang entlang, wo einige große Glasflaschen mit Babys, die vor der Geburt gestorben waren, standen. Das Baby in der ersten Flasche hatte einen großen weißen Kopf, der sich über einen kleinen, eingerollten Körper von der
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