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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Krümeln in den Zähnen klebte. Als er die Augen aufschlug – noch immer mit dem Kopf auf der Häkeldecke – lächelte er, denn direkt vor ihm erhob sich der unförmige Rest eines weiteren Kringels wie ein weiß-gelber Hügel der Verheißung, ein duftender Berg Sinai. Über diesem, dem siebten Kringel, musste er wohl kurz eingenickt sein. Essen machte ihn müde.
    Aaron streckte sich und gähnte so laut, dass jeder, der im gleichen Raum geschlafen hätte, davon aufgewacht wäre. Diese Gefahr bestand jedoch nicht. Als er sich umdrehte und nach Inés suchte, stellte er fest, dass er allein war.
     
    Miserere mei, deus, secundum magnam misericordiam tuam. Et secundum multitudinem miserationum tuarum, dele iniquitatem meam. Amplius lava me ab iniquitate mea …
    Sei gnadenvoll mir, o Gott, nach deiner Huld. In deiner Barmherzigkeit Fülle lösche aus meine Frevel. Wasche mich völlig rein von meiner Verschuldung …
    In der Camera della Verità betete man vorschriftsmäßig das Miserere, bevor man mit der Tortur begann. Luis hatte Befehl gegeben, unter keinen Umständen gestört zu werden. Er ließ die Tür schließen.
    Einen Augenblick lang betrachtete er sein Opfer wie ein Gemälde, von dem man noch nicht weiß, wohin man es hängen soll.
    »Wassertortur«, befahl er.
    Antonia wurde auf eine Bank gebunden, auf der ihr Kopf tiefer lag als die Füße. Dicke, raue Stricke rissen ihr an Armen, Beinen und der Hüfte die Haut vom Fleisch, sobald sie sich bewegte. Ihr Hinterkopf lag in einer Art Mulde, und ein eisernes Band, kalt wie Eis, legte sich über ihre Stirn. Die Hände, an den Gelenken zusätzlich gebunden, erkalteten.
    Alles, was um sie herum geschah, nahm sie plötzlich mit einer ungeheuren Intensität auf: die seelenlosen Geräusche des Eisens, das Zerreißen eines Stofflappens, das feine Kratzen der Schreibfeder des Protokollars, die Fäulnis in der Luft, die Kälte... Einer der Knechte auf der anderen Seite des Raumes summte leise das Miserere vor sich hin wie ein spätes musikalisches Echo auf das Gebet. Die Eindrücke verdichteten sich, die menschlichen Beschränkungen waren aufgehoben.
    Binnen eines Moments gab es nur noch Panik. Die Panik griff sie an wie ein böses, gut getarntes Tier, das nur auf den richtigen Moment gewartet hatte. Antonia spürte sie in der Brust, im Kopf, im Unterleib. Jeder Atemzug, jeder Gedanke wurde sofort von Panik umschlossen und erwürgt.
    Luis beugte sich über sie. »Antonia Bender, du wirst beschuldigt, der Zauberin Carlotta da Rimini zur Flucht verholfen zu haben. Du wirst beschuldigt, zauberische Geheimnisse mit ihr zu teilen. Ferner wirst du beschuldigt, den Jesuiten Sandro Carissimi verführt und in eure dunklen Machenschaften hineingezogen zu haben, so dass auch er dem Teufel verfallen ist. Gestehst du deine Verbrechen, Antonia Bender?«
    Die Panik lähmte sie, sie war unfähig zu sprechen, zu denken. Sandro, Carlotta, Hieronymus, das waren Namen, die starben, die auf dieser Bank, im Griff der Folter, keine Bedeutung mehr hatten. Niemand und nichts hatte noch eine Bedeutung, außer dieser Mann, dessen Schatten auf ihr lag.
    »Die Inquisitin schweigt.« Er nickte jemandem zu. Ein Gerät, ein eiserner Schraubstock, sperrte ihren Mund weit auf. Man ließ einen langen Stofffetzen in ihren Rachen gleiten, holte einen Krug herbei und träufelte am Stoff entlang das Wasser in sie hinein. Sie glaubte zu ersticken. Jeder Tropfen war wie ein schweres Gewicht. Immer wieder versuchte sie, das Wasser auszuspucken, wobei ihr Körper sich wand und die Stricke tiefer in ihr Fleisch schnitten. Hielt sie hingegen still, ertrank sie. Sie hörte alles, das Quietschen der Stricke, das gesummte Miserere, aber ihr Röcheln, ihren Untergang, den hörte sie nicht.
     
    »Tut mir leid, ich kann nichts machen. Der ehrwürdige Vater de Soto hat ausdrücklich angeordnet, dass die Befragung nicht unterbrochen werden darf.«
    Matthias versuchte, die Dringlichkeit seines Anliegens deutlich zu machen, doch der wachhabende Offizier ließ ihn nicht passieren, und er weigerte sich auch, den Visitator bei der Ausübung seines Amtes zu stören. Er solle, bitte schön, warten, wenn er unbedingt mit dem ehrwürdigen Vater sprechen wolle, erklärte man ihm.
    Tatsächlich wartete er eine Weile, aber die Zeit wurde ihm zu lang. Sandro war noch immer auf freiem Fuß und konnte ihm durchaus gefährlich werden. Falls er sich an den Fürstbischof oder den Kaiser wandte … Falls der Kaiser die Korrespondenz mit dem

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