Die Glaszauberin pyramiden1
»Die Stimmen, die du hörst, die Echos, das sind die Stimmen der Elemente. Manches Flüstern könnte sogar von den Soulenai selbst stammen, die von der Zuflucht im Jenseits nach dir rufen. Nein, warte. Das hier ist nicht der richtige Ort. Wir brauchen Ruhe und viel Zeit. Vielleicht heute nacht, wenn Isphet einverstanden ist.« Er ließ mich los und trat zurück. »Und jetzt müssen wir von hier verschwinden, bevor uns die Wächter entdecken und sich fragen, ob wir uns in diesem Versteck nicht zu sehr amüsiert haben.«
Als wir die Werkstatt betraten, warf uns Isphet einen Blick zu und kam herüber.
»Ich habe gehört, daß Tirzah in der Kammer zur Unendlichkeit ohnmächtig geworden ist«, sagte sie und sah Yaqob mit zusammengekniffenen Augen an. »Zeldon hat versucht, Kofte zu beschwichtigen.«
»Sie kann mit ihnen sprechen und sie verstehen«, sagte Yaqob einfach, und Isphets Augen wanderten zu mir herüber. Unvermittelt drückte sie mir einen Glasbecher in die Hand.
»Was sagt er dir, Tirzah?«
Das war genauso eine Prüfung wie Yaqobs Fragen, und ich konnte spüren, daß sich in der Werkstatt viele Blicke auf uns richteten, obwohl nur Yaqob und ich Isphets Frage hatten hören können. Ich drehte den Becher in den Händen. Es war ein schlichtes Gefäß, das dazu diente, unseren Durst zu stillen, wenn die Hitze der Brennöfen zu groß wurde.
»Er sagt mir, daß er lebt, aber daß er lieber anderswo leben würde. Es gibt hier eine Dunkelheit, die ihm nicht gefällt.«
Isphet starrte mich an, dann nickte sie ruckartig. »Sehr gut. Yaqob, komm heute abend in mein Quartier. Wird das gehen?«
»Ich bin so geschmeidig und unsichtbar wie eine Katze auf dem Dach, Isphet. Kein Wächter wird mich sehen.«
»Nun, sei trotzdem vorsichtig, Yaqob. Wir können es uns nicht leisten, dich jetzt zu verlieren.«
Wenn die Ereignisse des Tages meine Welt aus den Angeln gehoben hatten, dann veränderten die Enthüllungen der Nacht mein ganzes Leben.
Am Abend deckten wir die Glut in den Öfen ab, und ich ging in vertrautem Schweigen zusammen mit den Frauen aus Isphets Haushalt durch die Abenddämmerung zu unserem Quartier. Wir ließen Türen und Fenster offen, um die kühle Abendluft hereinzulassen, während wir aßen, aber sobald das Essen vorbei und das Geschirr gespült und weggeräumt war, ordnete Isphet an, daß die Fenster verriegelt und alle Türen bis auf die zum Hof zugesperrt wurden.
Dann warteten wir. Saboa und ich spielten lustlos eine Partie Tebente, warfen abwechselnd die mit Punkten markierten Stäbchen und ließen unsere Lehmfigürchen über das hölzerne Spielbrett wandern. Aber unsere Herzen waren nicht dabei, und wir zuckten jedesmal zusammen, wenn ein Insekt in eine der beiden Lampen flog, die ausnahmsweise brannten.
Yaqob kam eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, und er brachte einen Glasmacher aus unserer Werkstatt mit, Yassar. Sie waren über die Dächer gekrochen, lautlos und langsam, und hatten gewartet, wenn gelegentlich eine Patrouille unter ihnen vorbeikam. Sobald sie das Dach unseres Hauses erreicht hatten, waren sie die Treppe zum Hof hinuntergestiegen.
»Und was ist mit Druse und Mayim?« fragte Isphet, als sich Yaqob und Yassar setzten.
»Sie werden diese Nacht gut schlafen, Isphet. Nein, Tirzah, es ist schon in Ordnung. Ich habe ihnen bloß ein Schlafmittel ins Abendessen getan. Dein Vater wird morgen früh erfrischt aufwachen und nicht wissen, daß er betäubt wurde.«
»Wir mußten es tun«, sagte Yassar.
»Ja«, erwiderte ich. »Ich weiß.«
»Gut«, sagte Isphet. »Ich werde jetzt ein wenig erzählen. Und du wirst zuhören. Auch wenn du Fragen hast, Tirzah, wirst du warten, bis ich fertig bin. Aber zuerst will ich dich warnen. Wenn du uns an die Magier verrätst, dann wirst du sterben, selbst wenn keiner von den hier Anwesenden mehr leben sollte, um Rache zu nehmen. Hast du das verstanden?«
Die Drohung in ihrer Stimme und ihrem Blick ließ mich auf meinem Hocker zurückweichen. Ich warf einen schüchternen Blick zu Yaqob hinüber, aber seine Augen waren ebenso unerbittlich wie Isphets. »Ja, Isphet.«
»Gut. Mit dem, was wir jetzt enthüllen, legen wir unser Leben in deine Hände.«
Sie holte tief Luft und begann.
»Vor vielen Generationen, lange vor dem Bau der Pyramide, war Ashdod ein Land, in dem die Menschen ein Leben mit den Stimmen der Elemente lebten – vor allem den Elementen von Metall und Edelsteinen. Die Künste und die Magie um diese Elemente
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