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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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Strand. Der Himmel war grau und das Meer dunkelbraun. Morgens war der Strand übersät von Fetzen eines blassgelben Schaums, der auch auf den Wellen trieb und im Laufe des Tages auf dem Sand zusammenfiel, bis nur noch helle Ränder übrig blieben, wie von Spülwasser im Becken. Abends aßen wir im Restaurant des Hotels. Wir hatten Halbpension gebucht, sodass wir kein Gericht von der Karte wählen konnten, sondern alle das Gleiche bekamen. Mein Vater trank zum Essen Bier, das in einem schmalen Glas mit Stiel an den Tisch gebracht wurde. Bevor er den ersten Schluck nahm, ließ er mich die Nase in den weißen, dicken Schaum stecken. Einmal stieß ich absichtlich mit der Nasenspitze tiefer in das Glas, und als ich sie herauszog, lief das Bier daran herunter, und ich leckte es mit der Zunge von meiner Oberlippe. Es schmeckte bitter, aber es war auch etwas Süßes dabei.

[zur Inhaltsübersicht]
    [13]
    Seit ich zur Schule ging, fiel mein Geburtstag in die Sommerferien, und in diesem Jahr hätte ich ihn fast selbst vergessen.
    «Willst du nicht ein paar Freunde einladen?», fragte mein Vater, während ich Bennis Futterschale sauber machte. Ich hatte sie unter den Außenwasserhahn bei seinem Büro gestellt und ließ Wasser hineinspritzen, mit hartem Strahl. Ich nickte und murmelte, ich wolle mal sehen, was sich ergibt.
    «Gut, überleg es dir», sagte er.
    Es vergingen ein paar Tage, bevor er wieder darauf zu sprechen kam. Ich hatte in der Zwischenzeit nichts unternommen. Mir gefiel die Idee, nur wusste ich nicht, wen ich fragen sollte. Mein Vater sagte, er würde auf jeden Fall gern eine kleine Feier veranstalten für die Leute vom Platz, und wenn ich wollte, könnte ich meine Geburtstagsgäste dazu einladen.
    «Lisa Heller will auch kommen», sagte er. «Wie klingt das?»
    Ich rief erst Thorsten an und dann Marcel, aber keiner von beiden war interessiert, genau wie ich es erwartet hatte. Danach blieb mir nur noch eine Nummer. In der Woche vor den Zeugnissen, als wir die meiste Zeit uns selbst überlassen waren, war ein Junge zu mir gekommen und hatte gesagt, er habe seit kurzem eine neue Handynummer und er würde sie mir jetzt geben, falls mal etwas sei.
    Er hieß Erik. Er war im letzten Jahr sitzengeblieben und in meine Klasse gekommen, und er hatte einen Schnurrbart. Es hieß, er dürfe sich nicht rasieren, weil seine Mutter das verboten habe. Angeblich hatte es mit ihrer Religion zu tun. Von den anderen in der Klasse hielt er sich fern, und in den Pausen verschwand er einfach.
    «Gut», antwortete ich. Ich wusste genau, dass ich seine alte Nummer nie gehabt hatte, und ich war sicher, dass auch er es wusste. Trotzdem nahm ich den Zettel, den er mir gab, und weil er noch vor meinem Tisch stehen blieb, als hätte er dort irgendwas zu tun, speicherte ich die Nummer in meinem Handy. «Danke», sagte ich.
    Ich hätte nie erwartet, dass ich sie einmal benutzen würde, aber jetzt, da sie als letzte übrig geblieben war und ich nicht wollte, dass meine Eltern glaubten, ich hätte keine Freunde, suchte ich den Namen in meinem Nummernspeicher. Ich fand ihn, rief aber nicht an, sondern schickte eine Nachricht mit einer Einladung zur Ferienanlage Aue. Kurz darauf lehnte sich meine Mutter aus der offenen Tür und rief mir zu, dass wir bald zu Abend essen könnten.
    «Und hol bitte deinen Vater», sagte sie.
    Als Erstes ging ich zu der Bürohütte. Sie war abgeschlossen. Ich machte kehrt und nahm einen Slalomkurs um die Wagen der Nachbarn. Vor zweien waren Wäscheständer aufgestellt, mit Handtüchern, Socken, T-Shirts und Unterhosen in verschiedenen Farben darauf. Am Vorbau eines Ehepaars, das mit Nachnamen Barth hieß und das ich überhaupt erst einmal hier gesehen hatte, war ein Mountainbike an einen Pfosten gekettet. Eine Frau, die ich nicht kannte, kniete davor im Gras. Sie schaute auf, als ich vorbeiging, keiner von uns sagte etwas, ich nickte nur kurz und bog um die Ecke. Dann sah ich Bubi, der mit einer Zeitschrift auf einem Klappstuhl vor seinem Hänger saß, einen Meter neben der Vogelscheuche.
    «Fränkischer Hausflur mit drei Buchstaben?», fragte er statt einer Begrüßung.
    «Was?»
    «Ern.» Er schrieb etwas in sein Heft. «Merk dir das, auch wenn du sonst nichts lernst. Das musst du wissen, ohne das kannst du kein Rätsel lösen.»
    «Mach ich», sagte ich. «Hast du meinen Vater gesehen?»
    «Glaub nicht», sagte er.
    «Übrigens gibt es nächste Woche ein Fest.»
    Er hob den Blick.
    «Sag bloß», machte er. «Wann

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