Die goldene Königin
jedoch mit pochendem Herzen zu warten und lieà Alix den Vortritt. Sie sah, wie ihre Mutter den Arm ausstreckte und mit zitternder Hand die Nachricht entgegennahm, die der junge Mann ihr überreichte.
Alix richtete den Blick auf Valentine und bemerkte Louis hinter ihr. Dann drehte sie sich um, hielt den Brief einen Augenblick in Händen und seufzte.
Der junge Reiter war von seinem Pferd gestiegen. Wie alle Boten, die auf der Suche nach dem Ziel ihrer Mission durch die Landschaft preschten, trug er staubige Kleider. Stumm und steif wartete er, dass man ihn anwies, wieder aufzubrechen oder sich am Brunnen zu erfrischen. Der Brief war nicht versiegelt, und mit einem erneuten Seufzer begann Alix ihn schlieÃlich zu lesen.
Valentine litt an einem Schluckauf, den sie sich zu unterdrücken bemühte. Dann eilte sie ans andere Ende des Hofs und übergab sich. Sie beugte sich nach vorn und hielt sich mit einer Hand die schweiÃnasse Stirn. Louis zögerte. Als er sah, wie seine Mutter erbleichte, trat er zunächst auf sie zu, drehte dann jedoch auf dem Absatz um und eilte seiner Schwester zu Hilfe.
Er legte einen Arm um Valentines Taille und stützte sie. Langsam richtete sie sich auf. Voller Mitgefühl blickte Louis sie an.
»Ist der Brief von Mathilde?«, flüsterte er.
»Ja, ich glaube«, antwortete Valentine und bemühte sich so aufrecht wie möglich zu stehen.
Im Hof herrschte angespannte Stille. Nur das Scharren des Pferdes war zu hören. Es rieb einen Hinterhuf über das Pflaster.
Alix fixierte einen Augenblick die groÃe Flügeltür, durch die die Gespanne hineinfuhren. Stumm betrachtete sie den Hofeingang, als erschiene Mathilde dort auf Fildor. Doch sie kam nicht. So stand es in diesem Brief.
Sie seufzte tief und senkte den Blick erneut auf das Papier in ihren zitternden Händen. Wann würde Mathilde zurückkehren? Alix wusste nicht, was sie denken, sagen oder tun sollte!
»Hier, lies!«, sagte sie zu Valentine, die noch immer von ihrem jüngeren Bruder gestützt wurde.
Nicht ganz von ihrer Ãbelkeit genesen, nahm das junge Mädchen langsam das Blatt entgegen und verlas halblaut folgende Zeilen:
Meine liebe Mama,
sorge dich nicht. Es ist nichts Tragisches oder Bedeutsames geschehen. Nur hatte ich solche Lust, nach Florenz zu reisen, um das Land meines Vaters kennenzulernen. Ich habe geschwiegen, um dir Kummer zu ersparen und damit du mich nicht daran hinderst. Auch der Duchesse dâAlençon habe ich nichts erzählt, weil ich wusste, dass sie mich verheiraten würde, um mich von meinem Vorhaben abzubringen.
Nichts sollte meinem Wunsch im Weg stehen. Er ist stärker als alles andere. Stärker noch als mein unendlicher Kummer, Valentine zu verlassen. Aber ich weiÃ, dass sie mich versteht, weil ich es ihr bereits erzählt habe und sie es gebilligt hat.
Sei nicht traurig, Mama, ich werde bald zurückkommen. Wenn ihr die Hochzeit von Valentine nur ein bisschen nach hinten verschiebt, werde ich dabei sein.
Urteile nicht schlecht über mich. Ohne dass ich mich darum bemüht habe, bin ich in einer guten Sache unterwegs. Sie ist mir einfach zugeflogen, als ich nicht damit gerechnet habe, und das erleichtert mir natürlich meine Reise.
Diesen Teil kennt auch Valentine nicht, weil ich davon noch nichts wusste, als wir darüber sprachen. Um es kurz zu sagen, ich muss eine Mission für den König erfüllen. Leider darf ich dir nicht sagen, worum es sich handelt, Mama. Ich muss das Geheimnis für mich behalten. Aber sorge dich nicht, du musst wissen, dass ich das Glück hatte, in Clos-Lucé dem groÃen Leonardo da Vinci zu begegnen. Er hat mir diese Aufgabe übertragen, die am Ende François zugutekommt, unserem König.
Allein Maître da Vinci entscheidet darüber, ob er dich auf dem Laufenden hält oder nicht. Ich darf dir nichts sagen, weil ich ihm versprochen habe zu schweigen. Ich kann dich nur damit beruhigen, dass die Mission gänzlich ungefährlich ist und mir nebenbei ermöglicht, Florenz und die Familie meines und Valentines Vater kennenzulernen.
Maître da Vinci und ich haben viel von dir gesprochen. Er erinnert sich sehr gut an dich. Er hat mich sogar gefragt, ob sich Form und Ausdruck der Zeichnungen für die Tapisserien weiterentwickelt hätten. Jedenfalls wäre es ihm eine groÃe Freude, dich wiederzusehen. Er lebt allein mit zwei Dienerinnen und einem Knecht in
Weitere Kostenlose Bücher