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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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ja auch nicht unter einer Leiter hindurch oder ließ eine schwarze Katze vor sich über den Weg laufen. Nicht, dass irgendetwas hätte passieren können, aber warum sollte man den Teufel wecken?
    Gegenüber, auf der anderen Seite eines Kreisverkehrs, war ein Spielzeuggeschäft, das größte in Russland. Früher hatte sich hier ein Karussell gedreht unter den funkelnden Kronleuchtern, die eines Palastes würdig gewesen waren. Jetzt war das Geschäft dunkel, entkernt und nackt und wartete auf seine effiziente Neugestaltung. Wunderliche Gegenstände verschwanden als Erstes.
    Doch immer noch kamen Kinder hierher. Sie lungerten lasziv in den Eingängen, schnorrten Zigaretten, trabten neben langsam fahrenden Autos her. Einige der Jungen hatten schon mit elf Jahren den schweren Blick und die mürrisch schlaffe Haltung der Sado-Maso-Stricher.
    Schenja schaute stur geradeaus, um den Raubtierblicken aus den langsam vorbeirollenden Autos auszuweichen. Der Lubjanka-Platz war nicht die erste Adresse für Pädophile - diese Ehre gebührte den Drei Bahnhöfen und den Straßen um das Bolschoi -, aber doch ein guter Ausgangsplatz für einen so jungen Zuhälter wie Jegor.
    Schenja war entschlossen, sich von Maja nicht alles gefallen zu lassen. Jegor würde das als Schwäche deuten und den Preis für seinen »Schutz« verdoppeln. Darauf würde Schenja nicht warten. Als Schachspieler wusste er, dass derjenige, der den ersten Zug machte, im Vorteil war.
    Trotzdem schreckte er zurück, als ein Volvo-Kombi am Randstein hielt und der Mann auf dem Beifahrersitz ihn zu sich rief.
    »Ich bin kein ...«, sagte Schenja.
    »Kein was?« Die Stimme war ausdruckslos.
    »Zum ... Sie wissen schon.«
    »Was weiß ich?« Das Gesicht war ein grauer Schatten. Der Fahrer sah genauso aus - als wären sie beide aus Tonerde geformt. Der Kombiwagen hatte Beulen und rostige Schrammen, als sei er umgestürzt, für tot liegen gelassen und dann wiederauferweckt worden.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Schenja.
    »Wir suchen ein Mädchen«, sagte der Mann. »Sie ist von zu Hause weggelaufen, und ihre Eltern machen sich große Sorgen um sie. Es gibt eine Belohnung für den, der uns hilft.«
    Er zeigte Schenja ein Flugblatt von Maja, die mit einem Baby an einer Bushaltestelle saß. Das Baby existierte also, und Maja lächelte, als könnte sie es ewig im Arm halten. Schenja tat umständlich so, als müsse er das Bild ins Licht halten, um es besser sehen zu können.
    »Ist das ihr Baby?«
    »Ja. Das ist noch ein Grund, weshalb wir sie finden müssen. Ihre Eltern sind krank vor Sorge um das Baby.« »Und wer sind Sie?«
    »Nicht, dass es dich was angeht, aber wir sind ihre Onkel. Es ist eine Familienangelegenheit.« »Wie heißt sie?«
    »Maja. Maja Pospelowa. Wer sie uns bringt, kriegt hundert Dollar Belohnung. Als sie zuletzt gesehen wurde, hatte sie sich die Haare rot gefärbt. Das Flugblatt kannst du behalten. Auf der Rückseite stehen zwei Handynummern.«
    »Sie ist hübsch.«
    »Sie ist eine Nutte«, sagte der Fahrer.
    Der Wagen fuhr weiter bis zu einer Laterne am Ende des Häuserblocks, wo ein offenes Kabrio einen Kreis von Jungen angelockt hatte. Der Kombi hielt an und betätigte seine Lichthupe. Das Kabrio war ein BMW, ein deutscher Schlitten, der einem russischen Schrotthaufen kaum Platz machen würde. Der Fahrer reagierte mit einer ruppigen Handbewegung, ohne sich die Mühe zu machen, einen Blick nach hinten zu werfen. Der Volvo rollte an und stieß gegen die hintere Stoßstange des BMW. Der Himmel, schrie der Fahrer, möge Scheiße regnen lassen auf Idioten, die mit Scheißautos herumfuhren.
    Der Beifahrer des Volvo stieg aus, öffnete die Heckklappe und nahm eine langstielige Schaufel heraus. Er ging nach vorn zu dem Kabrio, hob die Schaufel und ließ sie mit der Kante auf die Motorhaube niederfahren. Der Fahrer des BMW duckte sich so schnell, dass er mit der Nase auf das Lenkrad prallte. Blut lief ihm fächerförmig über Mund und Kinn. Aber das war nur der Anfang. Der zweite Schlag war wuchtig genug, um eine tiefe Kerbe in der Haube zu hinterlassen, und der dritte ließ die Scheibenwischer wegfliegen. Das genügte. Der BMW überfuhr den Bordstein in seiner Hast, wegzukommen, und der Volvo rollte an seinen Platz. Die Jungen hatten sich zurückgezogen, aber nach wenigen Augenblicken waren sie wieder da. Sie drängten sich um den Wagen und ließen sich Flugblätter von Maja geben.
    Schenja hatte keine Ahnung, wo Maja und Jegor waren. Er konnte nichts weiter

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