Die Goldhaendlerin
letzten Blick auf ihr neues Domizil kletterte Lea die Leiter zum Oberdeck hoch, um sich nach dem Anführer der Gesandtschaft umzusehen.
Anders als bei ihrer Ankunft wimmelte es nun hier oben von Matrosen, die vom Kapitän hin und her gescheucht wurden und an allen möglichen Seilen zerrten und zurrten. Die Gesandten des Herzogs und ihre Diener, die es bei dem stürmischen Wetter der letzten Tage vorgezogen hatten, im »Gouden Leuw« am Marktplatz zu übernachten, kamen in kleinen Gruppen an Bord. Obwohl Ruyters drängte und über die Trödelei schimpfte, schienen sie das Wort Eile noch nie gehört zu haben. Die meisten von ihnen warfen einen misstrauischen Blick auf das Wasser und machten ein Gesicht, als würden sie die nächsten Wochen lieber in einem französischen Kerker verbringen als an Bord dieses Schiffes.
Lea erkannte einige Mitglieder der Delegation. Es waren Männer aus dem Gefolge des Herzogs, die sie zusammen mit Orlando in der Nähe von Vesoul getroffen hatte. Einige Augenblick kämpfte sie mit der Angst, man könne sie als den Juden entlarven, der Maximilians Zeche ausgelegt hatte, doch niemand schenkte ihr Beachtung. Frans van Grovius, der die Delegation anführte, stieß sie im Vorbeigehen achtlos beiseite, stach auf den Kapitän zu und herrschte ihn an, ob dieser verdammte Fischkopf endlich angekommen sei.
Lea trat auf van Grovius zu. »Léon de Saint Jacques, zu Euren Diensten, edler Herr. Ich bedaure, Euch mitteilen zu müssen, dass Herr Fischkopf leider verhindert ist und ich seine Stelle als Vertreter der Bankiers Eelsmeer und Deventer einnehme.«
Van Grovius drehte sich zu Lea um, starrte sie empört an, ohne dass Erkennen in seinen Augen aufblitzte, und schlug mit seiner behandschuhten Rechten gegen die Reling. »Es war der Wille des Herzogs, dass Roland Fischkopf uns begleiten soll. Was könnte ihn daran hindern, meinem Herrn zu gehorchen?«
»Ein gebrochenes Bein«, log Lea ungerührt. »Ich bedauere die Verspätung, aber die Nachricht erreichte mich erst vor wenigen Tagen.«
Van Grovius winkte verächtlich ab. »Meinem Herrn kann es gleichgültig sein, welcher Bankknecht an unserer Reise teilnimmt. Du wirst dich in Spanien im Hintergrund halten und uns das Reden überlassen, hast du mich verstanden? Ich habe es von Anfang an für überflüssig gehalten, deinesgleichen mitzunehmen.«
Lea fand van Grovius unerträglich arrogant. Sein Auftreten hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Mann, der sich an jenem Abend bei Vesoul als angenehmer Gesprächspartner erwiesen hatte. Wie viele Menschen, die in der Gegenwart ihrer Herren den Kopf gesenkt hielten, behandelte er, wenn er sich als Ranghöchster fühlte, jene, die unter ihm standen, schroff und herablassend. In gewisser Weise war Lea seine Haltung ganz lieb, denn wenn sie in Spanien nicht gebraucht wurde, konnte sie ihre oder vielmehr Roland Fischkopfs Pläne ungehindert verfolgen.
Der Kapitän verließ seinen Platz auf dem Heckkastell und forderte die Passagiere barsch auf, das Deck für die arbeitenden Matrosen zu räumen und nach unten zu verschwinden. Van Grovius schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich bleibe hier und sehe zu, wie das Schiff ablegt«, erklärte er in einem Ton, der eigentlich keinen Widerspruch zuließ.
Bei Ruyters geriet er damit jedoch an den Falschen. »Das ist mein Schiff, und auf meinem Deck halten sich beim Ablegen nur die Männer auf, die arbeiten müssen, und niemand, der ihnen vor den Füßen herumstolpert, verstanden?«
Van Grovius sah einen Moment so aus, als wollte er den Kapitän niederschlagen, doch dann drehte er sich um und stieg zähneknirschend die steile Leiter ins Zwischendeck hinab. Seine Begleiter folgten ihm wie eine Herde Schafe, unter die Lea sich wie selbstverständlich mischte.
Als sie ihre Kabine betrat, war von ihren Mitbewohnern niemand zu sehen. Lea nahm an, dass sie ihre Herren bedienen mussten, und sah kurz darauf mehrere in Livreen steckende Männer mit Platten voller Speisen, Weinkannen und Körben mit Brot und Obst durch den Gang eilen. Anscheinend hatten van Grovius und die anderen Edelleute beschlossen, ihr unterbrochenes Mittagsmahl auf dem Schiff fortzusetzen. Lea erinnerte sich nur mit Grausen an ihre Erfahrungen auf der Rheinbarke und wünschte den Herren im Stillen guten Appetit.
Gleichzeitig schüttelte sie sich, denn sie fürchtete, selbst wieder der Seekrankheit zum Opfer zu fallen. Wenn sie hier so schwach und elend wurde wie auf der »Marijkje«, würde es ihr kaum
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