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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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vor.«
    Plötzlich stand er dicht vor ihr, und sein Atem streifte ihre Wange. Ihr Herz klopfte schneller.
    Er hob ihr Kinn. »Warum sagst du mir nicht die Wahrheit? Hast du kein Vertrauen mehr zu mir?«
    Sie wagte nicht aufzublicken, sonst würde sie wieder den Wunsch verspüren, sich an seine Schulter zu schmiegen. Sein vertrauter Duft würde ihr für einen Moment das Gefühl von Geborgenheit geben, ein wenig Licht, das die Dunkelheit in ihr erhellen könnte. All das wollte sie nicht.
    »Welchen Sinn soll es haben, dir von Dingen zu erzählen, die niemand von uns ändern kann?« Ihre Stimme wurde heiser. »Geh zu Piet und Janek. Ich werde Elsa, eine der Spinnerinnen, fragen, ob sie Hilfe brauchen kann. Ich komm bald nach.«
    Seine Züge versteinerten. »Wie du willst«, murmelte er, pfiff Lump an seine Seite, der widerwillig gehorchte, und ging steifen Schrittes hinaus.
    Cristin sank auf einen Sessel und starrte in die Luft, bis ihr rasend klopfendes Herz sich wieder beruhigt hatte. Warum nur reagierte sie immer wieder so auf ihn? Wie sehr sie gehofft hatte, diese Augenblicke wären nur sentimentale Gefühle gewesen, das einfache Bedürfnis einer Frau nach Schutz und Zuneigung in einer rauen Zeit. Sie musste sich diese seltsamen Empfindungen aus dem Kopf schlagen, schließlich war sie Witwe, und das seit nicht einmal einem Jahr. Ein Seufzen entrang sich ihrer Brust. Wie stickig es in der Kammer war! Sie erhob sich und nahm ihr verschwitztes Kopftuch ab, das aus feinstem Linnen und am Saum mit Blumenranken umstickt war. Cristin kämmte sich die Haare, die ihr inzwischen knapp bis über die Ohren reichten, nahm ein zweites, ähnlich gearbeitetes Stück und band es fest.
    Energisch verdrängte sie ihre beunruhigenden Gedanken. Baldo war ihr Vertrauter, ihr Retter und Freund, nicht mehr. Sie hatten einander belogen und verletzt, sich jedoch auch in Gefahr und Not getragen und gestützt. Der Herr hatte es so gewollt, dass sie durch die Wirren des Schicksals auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen waren. Selbst wenn Baldo irgendwann eine Frau fand, mit der er eine Familie gründete, würde er immer ein Teil ihres Lebens bleiben. Gedankenvoll glättete sie ihr Gewand. Aber war es das, was sie wirklich wollte? Sie horchte in sich hinein. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Baldo Schimpf«, flüsterte sie. Aber sie begehrte keinen Gemahl, weder an diesem Tag noch für die Zukunft. Alles, was sie wollte, waren Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Lukas’ Mörder musste gefunden werden, damit sie die Goldspinnerei fortführen konnte, und sie wollte Elisabeth endlich zu sich holen. Damit wäre sie für den Rest ihres Lebens zufrieden.
    Außerdem wusste sie oft nicht, was in Baldo vorging, warum er ihr an einem Tag voller Wärme begegnete und am nächsten aus dem Wege ging. Wieso also erwartete er von ihr Offenheit, wenn er sich selbst vor ihr verschloss?
    Leise zog sie die Tür hinter sich ins Schloss, lief eine Treppe hinunter und wandelte durch die mit Fackeln erleuchteten Hallen. Mit dem Trübsalblasen musste endlich Schluss sein, auf einer Burg gab es schließlich genug zu tun. Danach würde sie wie sonst auch mit einem Lächeln auf den Lippen zu den anderen zurückkehren und versuchen, ihr Herz vor den neuen Empfindungen zu verschließen. Nun galt es, sich an das Wesentliche zu erinnern, den Grund, warum sie ins polnische Reich gereist waren. Selbst nach all den Wochen, die sie nun schon bei Hofe weilten, waren sie noch immer keinen Schritt weiter, was die Verschleppung der Mädchen und Lüttkes Beteiligung daran anging. Niemand schien etwas von verschwundenen Mädchen zu wissen. Wen auch immer sie gefragt hatten, hatte einsilbig oder schulterzuckend geantwortet, ihnen nicht weiterhelfen zu können. Entweder wurde tatsächlich niemand vermisst, oder die Mädchen waren so entbehrlich, dass es nicht auffiel. Wie seltsam. Sie musste mit Piet sprechen, vielleicht wusste er Rat. Allerdings bekam sie ihren Bruder seit einigen Tagen immer seltener zu Gesicht. Bei einem seiner Ausflüge nach Krakow hatte er ein Mädchen kennengelernt, die Tochter eines Kupferschmieds. Cristin hatte sofort gespürt, dass sich eine Veränderung an ihm vollzog, denn er suchte plötzlich Jadwigas Badehaus regelmäßig auf. Außerdem frisierte und schminkte er sich so sorgfältig, dass Cristin ihm kopfschüttelnd hinterherblickte, wenn er ohne weitere Erklärungen den Wawel für Stunden verließ.
     
    Die Spindel in Cristins Hand tanzte auf

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