Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
sich getragen, und die Sonne wärmte ihr Gesicht, als wollte sie sie willkommen heißen. Noch am selben Tag hatten Paulina und Karolina auf dem Wagen eines Händlers, der nach Polen reiste, die Stadt verlassen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Baldo und Cristin hatten den beiden eng umschlungen lange hinterhergeblickt.
Zwei Tage nach dem Prozess hatte es an Mechthilds Tür geklopft, während Cristin das Abendessen zubereitete. Ihre Gedanken wanderten zurück.
»Ich muss mit Eurer Schwägerin sprechen.« Die dunkle Stimme Vogt Büttenwarts war bis in die Küche vernehmbar. Cristin schaute erstaunt auf, als der Richteherr eintrat und sich leicht vor ihr verbeugte.
»Tretet näher, Herr Büttenwart. Kann ich Euch eine Erfrischung reichen?«, fragte sie, während sie grübelte, was der Richteherr wohl zu dieser Stunde von ihr wünschte. Seine Gegenwart löste Unbehagen in ihr aus, das sie nur mit Mühe zu unterdrücken imstande war. Aus einem Krug goss sie verdünnten Wein in einen Becher und stellte ihn auf den Tisch.
Er schenkte dem Getränk keine Beachtung.
»Bitte entschuldigt meinen unangemeldeten Besuch, Frau Bremer. Ich … ich würde gern …«
Cristin sah zu Mechthild hinüber, die ihr, das jüngste Kind auf die Hüfte gesetzt, ein Zeichen gab, ruhig zu bleiben.
»Was führt Euch hierher?«
Der Vogt befeuchtete seine Lippen. »Frau Bremer. Ich habe Euch Unrecht getan. Ich hätte wissen müssen, dass eine geachtete Frau wie Ihr …«
»Lasst es gut sein, bitte.«
»Nein.« Seine Miene war ernst. »Dass eine Frau wie Ihr, bei der ich einige Male zu Gast war, nicht zu solch einer ruchlosen Tat fähig sein kann«, vervollständigte er seinen Satz. »Könnt Ihr mir vergeben?« Er reichte ihr die Hand.
Sie zögerte. Dann nickte sie, jedoch ohne seine Rechte zu ergreifen.
»Ich danke Euch. Werdet Ihr die Goldspinnerei fortführen?«
»Nein. Nicht in Lübeck, Richteherr.« Ihre Stimme zitterte. »Diese Stadt kann nicht mehr mein Zuhause sein.« Sie versuchte ein Lächeln. »Ich danke Euch für Euer Kommen.« Sie hatte der fülligen Gestalt nachgeblickt, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war.
Dann war der Tag gekommen, an dem Baldo bei seinem Vater an die Tür geklopft hatte. Emmerik Schimpf war nicht zu Hause gewesen. Unschlüssig war Baldo von einem Fuß auf den anderen getreten und hatte sich gefragt, was er von diesem Treffen erhoffte. Er war einer inneren Eingebung gefolgt, als er den vertrauten Weg zu seinem Elternhaus zurückgelegt hatte. Oder war es nur der sentimentale Wunsch eines Sohnes gewesen, dem Vater Lebewohl zu sagen? Der Tag entsprach seinen wechselnden Stimmungen. In einem Moment zeigte sich der Frühling von seiner strahlenden Seite, nur um kurze Zeit später Platzregen vom Himmel zu schicken. Er suchte Schutz auf der Treppe vor der Eingangstür und spähte die Straße hinab. Schon wollte Baldo sich abwenden und den Heimweg antreten, da erkannte er ihn. Emmerik Schimpfs Haare waren tropfnass, ebenso sein rot-grüner Wams, der trotz des Regens schon von Weitem erkennbar war. Der Scharfrichter schien zu stutzen, blieb stehen und näherte sich.
Sein biergetränkter Atem schlug ihm entgegen. »Der verlorene Sohn kehrt also zurück.«
»Vater.« Baldo neigte den Kopf.
»Komm rein. Aber mach’s kurz«, gab der Henker zurück, öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.
Ein Strauß Blumen stand auf dem einfachen Holztisch, Teller und Becher waren säuberlich ins Regal gestellt, selbst die Feuerstelle war von Unrat befreit und gefegt. Baldo sperrte den Mund auf und setzte sich. Sein Vater reichte ihm einen Becher, doch er lehnte dankend ab.
»Was verschafft mir das … Vergnügen, Junge?«
Die Falten um Emmeriks Mund waren tiefer geworden, und sein Zopf war von silbrigen Strähnen durchzogen. Der Ausdruck seiner Augen jedoch war immer noch derselbe.
»Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden, Vater. In den nächsten Tagen reisen wir ab.«
Emmerik kreuzte die Arme vor der Brust. »Du buhlst also immer noch mit dieser … dieser Bremer.«
Baldo schwieg.
»Na gut, du musst selbst wissen, was du tust. Hast du mir sonst nichts zu sagen?«
Baldo trommelte mit den Fingern auf die Tischkante. »Was willst du von mir hören, Vater? Dass es mir leidtut, mit Cristin geflüchtet zu sein? Dass ich es bereue, mich dir widersetzt zu haben? Da kannst du lange warten!«
»Was … was fällt dir ein, so mit mir zu reden?« Der Scharfrichter baute sich vor ihm auf. Noch immer war er
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