Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
dass dich niemand sieht«, fügte sie hinzu und wies auf die Rückseite des Karrens.
Cristin schielte hinüber.
»Zier dich nicht so, Agnes, mach schon.« Duretta musterte das Gewand, und in ihrem gesunden Auge blitzte der Schalk. »Wenn es sein muss, zieh das schwarze einfach drüber. Da habe ich übrigens noch ein buntes Kopftuch für dich, damit und mit all den anderen Sachen wird dich jedermann für eine Zigeunerin halten.« Die Einäugige schmunzelte, was die Proportionen ihres Gesichtes noch schiefer erscheinen ließ.
14
W as zum Teufel …« Der hochgewachsene Mann mit den dunklen Haaren runzelte die Stirn.
Ein seichter Wind bauschte seinen Mantel, und während er den rechten Fuß vom Pflaster hob und auf die beschmutzte Sohle seines Stiefels blickte, verzog er das Gesicht. Warum konnten die Leute nicht dafür sorgen, dass ihre verdammten Köter nicht zwischen die Stände der Markthändler schissen! Einen deftigen Fluch auf den Lippen, sah er sich nach einem geeigneten Pflasterstein um, an dem er den Hundedreck abstreifen konnte. Dabei näherte er sich einem Käfig, vor dem ein paar Frauen mit ihren Kindern standen und einen Bären bestaunten. Er rümpfte die Nase vor dem strengen Geruch des Tieres. Ein kräftiger Bursche mit einem runden Gesicht erklärte gerade, dass er das Tier gleich aus dem Käfig holen würde.
Als dieser den Unbekannten erspähte, winkte er ihm zu. »Kommt nur herbei und seht zu, wie gut mein Bruno tanzen kann!«
Der Fremde winkte ab und ging weiter. Da, neben einem kleinen Zelt, wuchsen ein paar Grasbüschel zwischen den Steinen empor. Rasch trat er näher und streifte seine Stiefelsohle daran ab. Da drang eine junge Stimme aus dem Inneren des Zeltes zu ihm herüber, einige Augenblicke lang stand er nur da und lauschte dem weichen Klang. Es war viel zu lange her, seit er ein Frauenzimmer in seinem Bett gehabt hatte, und wenn ihr Körper ebenso weich und warm war wie ihre Stimme, kam sie ihm gerade recht. In dem Moment öffnete sich der Eingang des Zeltes, und ein junger Mann trat heraus.
»Na, was gibt’s da drin zu sehen?«
Der Gefragte blinzelte ins helle Sonnenlicht und trat einen Schritt zurück. »Du bist es, lange nicht gesehen. Gott zum Gruße.«
Der Angesprochene grinste anzüglich. »Was für ein Weib empfängt denn dort drinnen Männerbesuch? Eine neue Hübschlerin, oder wie?«
»Nein, nein. Meiner Klara werd ich doch nicht untreu werden, auch wenn die Frau dort drinnen ein verdammt hübsches Weibsbild ist. Nennt sich Mala. Eine Zigeunerin, so wie sie aussieht, die den Leuten für zwei Witten aus der Hand liest. Ich sag dir, wenn sie spricht und du ihr in die Augen siehst, glaubst du ihr jedes Wort. Gehört wohl zu den Gauklern, die heute in die Stadt gekommen sind.«
»Eine Spökenkiekerin?«
»Ja. Ich muss weiter. Gehab dich wohl. Und schau mal wieder im Hafenkrug vorbei, wenn du Lust auf ein Bier hast.«
Cristin hörte, wie sich vor dem Zelt zwei Männer miteinander unterhielten. Seit Utz und Michel am Morgen das kleine Zelt errichtet hatten, in dem gerade einmal zwei Personen Platz fanden, war die Zigeunerin Mala – den Namen hatte Utz ihr vorgeschlagen – kaum zum Luftholen gekommen. Die Neugier der Bürger, was das Schicksal wohl für sie bereithielt, machte Mala zu einer Attraktion des Marktplatzes. Zwei junge Frauen waren ihre ersten Kundinnen gewesen, und Cristins Finger hatten sich kalt und klamm angefühlt. Schließlich war es nicht recht, diesen Ahnungslosen etwas vorzumachen und ihnen eine rosige Zukunft vorauszusagen. Doch Michel hatte ihr versichert, dass dies genau das wäre, was die Menschen wollten. »Erzähle ihnen nur Gutes, und sie werden zufrieden sein und die paar Witten gerne zahlen«, waren seine Worte gewesen.
Also tat sie es und sah in die Handflächen der Leute. Den beiden unverheirateten Frauen hatte sie gesagt, sie würden im nächsten Jahr mit einem wohlhabenden, gut aussehenden Kaufmannssohn vermählt werden. Vielleicht hatten sie ja Glück, und es geschah wirklich. Cristin erhob sich von ihrem Hocker, um ihre Glieder zu strecken. Weder die glitzernden Ketten noch die großen Ohrringe und das auffällige, bunte Kopftuch schienen zu ihr zu gehören. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Der Gedanke, dass Elisabeth ganz in ihrer Nähe war, ließ sie alle Schmach ertragen. So Gott will, werde ich sie finden.
Wie vielen Leuten der verschiedenen Stände sie heute aus der Hand gelesen hatte, wusste sie nicht mehr zu
Weitere Kostenlose Bücher