Die Graefin der Woelfe
»Vielmehr müssten sich andere Schuldgefühle machen!«
»Andere? Wieso, wer denn? Ich verstehe nicht.«
»Na, zum einen hat doch dieses Dorf eine Wehmutter. Wäre es nicht ihre Aufgabe gewesen, eine Amme zu besorgen?«
»Glauben Sie mir, Margeth hat alles Menschenmögliche versucht.«
»Das will ich wohl glauben«, räumte er ein. »Wenngleich ich es nicht ganz verstehe. Bei uns in Linz hat die Wehmutter mehr Macht über die Wöchnerinnen als ich als Arzt. Oft schon hatte ich das zu beklagen. Das einfache Volk glaubt den Heilmethoden dieser Frauen, die doch nur aus dem Volke stammen und keine Ahnung von der Medizin haben. Und dann, wenn es zu spät ist, rufen sie erst nach der Wissenschaft, wenn sie dann noch rufen können.«
Amalia merkte auf. »Wie meinen Sie, Doktor?«
»Ich meine nichts.« Ein Blick auf seine Zuhörerin zeigte ihm, dass er nun ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Er nickte zufrieden. »Also, sie macht sicherlich das, was sie kann, sehr gut. Sie scheint eine wirklich gute Hebamme zu sein. Und vieles von dem, was sie Ihnen verschrieben hatte, hätte ich auch nicht besser machen können. Aber diese Fiebertränke und das häufige Wäschewechseln. Nichts schwächt einen Kranken so sehr wie das häufige Wechseln der Wäsche. Sie selbst haben sich doch auch erst wirklich erholt, als ich dies untersagt hatte.«
Die Gräfin blickte ihn verständnislos an.
»Was untersagt? Wovon sprechen Sie?«
»Von den Schwitzkuren und den häufigen Wäschewechseln, damit hat sie ihn zu Tode gepflegt. Kommt häufig vor, dieser alte Aberglaube ist noch immer nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Gleiches mit Gleichem vertreiben, die Hitze mit der Hitze. Es ist mir ein Rätsel, wie man so etwas glauben kann.« Er schüttelte den Kopf.
Unterdessen waren sie am Schloss angekommen, und da keiner der Stallknechte zur Stelle war, half er Amalia aus der Kutsche.
»Ich fühle mich schwach und werde sogleich meine Kammer aufsuchen.« Amalia blickte über ihre Schulter, dann stutzte sie. »Oh mein Gott, wo ist Marijke? Ich fürchte, ich habe die Gute einfach auf dem Friedhof stehen lassen.« Sie richtete sich an den Kutscher. »Fahr um Gottes willen zurück und bring die Zofe nach Hause. Es ist mir ein Rätsel, wie mir das passieren konnte.«
»Die Nerven, Frau Gräfin. Es ist kein Wunder, Ihnen gehen die Nerven durch.« Er ließ den Blick über ihre ausgemergelte Gestalt schweifen. In der Tat, sie wirkte fahrig, als wäre sie nicht mehr von dieser Welt.
Was war nach dem Tode des Grafen mit ihr geschehen? War sie früher nur eine widerborstige, ungehorsame Frau gewesen, so wirkte sie nun beinahe unheimlich, wozu auch ihr unseliges nächtliches Umherwandeln passte.
»Begleiten Sie mich bitte in meine Kammer und schicken Sie nach Elena. Sie ist der einzige Trost, der mir geblieben ist.«
Die Kammer war kühl und Erasmus musste zunächst dem Kammerdiener auftragen, den Ofen wieder anzuheizen. Dann betätigte er den Klingelzug, auf dessen Klang hin eine der Leibmägde erschien. Sie schickte ihrerseits nach dem Kindermädchen und half Amalia aus Mantel und Überschuhen.
Die Gräfin legte sich nieder und Erasmus fühlte ihr den Puls. Er schlug langsam und schwach. »Reichen Sie mir bitte die Schüssel«, bat er die Magd, während er begann, Amalias Arm abzubinden. Seine Patientin ließ die Prozedur widerstandslos über sich ergehen. Sorgfältig entrollte Erasmus sein Lederfutteral, in dem seine Instrumente eingeschlagen waren. Er entnahm ihm ein Skalpell mittlerer Größe, prüfte seine Schärfe mit dem Daumen und setzte einen sauberen Schnitt in Amalias linken Arm, direkt unterhalb der Ellenbeuge. Das Blut begann, zäh den Arm hinunterzulaufen. Erasmus fing es in einer silbernen Schale auf. Nachdem er genügend Blut entnommen hatte, verschloss er die Wunde sorgfältig mit einem reinen Tuch und füllte die Flüssigkeit in eine Glasphiole, um sie auf Geruch und Aussehen zu prüfen.
*
In eben jenem Augenblick betrat Lotta mit Elena auf dem Arm die Kammer. Sie schluckte, als sie den Arzt am Fenster stehen sah, wie er eine Phiole mit rubinroter Flüssigkeit gegen das Licht hielt. Wie gelähmt stand sie an der Tür, sah mit an, wie er das Glas zu seinem Gesicht führte.
Das war zu viel. Sie wandte den Blick ab, wollte nicht sehen, was der unheimliche Mann mit dem Glas vorhatte. Einem Impuls folgend setzte sie das Kind auf den Boden und rannte hinaus. Ihre Duldsamkeit war zu Ende. Sie hielt es keinen
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