Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
auf den Weg nach Hause, nachdem Martine einen Lunch dankend abgelehnt, aber versprochen hatte, zu einer anständigen Zeit nach Hause zu kommen, um in aller Ruhe zu Abend zu essen.
Clara Carvalho hatte leicht verlegen erzählt, daß sie nicht bereit gewesen war, selbst eine Entscheidung über eine eventuelle Voruntersuchung von Bergers Geschäften zu treffen, sondern die Frage an den leitenden Staatsanwalt Etienne Vandenberghe weitergegeben hatte. Was bedeutete, daß sie bis nach dem Wochenende, wenn Vandenberghe wieder im Dienst war, warten mußte, dachte Martine. Sie wunderte sich deshalb, daß sie einen Anruf vom leitenden Staatsanwalt erhielt, der mit ihr sprechen wollte, am besten umgehend, und sehr dankbar wäre, wenn sie sich Zeit nehmen könnte, bei ihm hereinzuschauen.
Als leitender Staatsanwalt gehörte Vandenberghe zu den Glücklichen, die Dienstzimmer im alten Bischofspalast statt im Sechziger-Jahre-Annex mit seinem schlechten Lüftungssystem und staubsammelnden Nadelfilzteppichboden hatten. Sein Zimmer, das früher einmal Speisesaal für die Musikschule der Kathedrale gewesen war, war nicht so groß wie das des Gerichtspräsidenten, hatte dafür aber durch drei hohe Fenster Aussicht über den Fluß.
Obwohl Sonntag war und er eigentlich frei hatte, war Etienne Vandenberghe adrett im weißen Hemd mit Schlips und einem Anzug gekleidet, der locker an ihm hing, als sei er abgemagert, seit er ihn gekauft hatte. Er war seit drei Jahren leitender Staatsanwalt in Villette, und jeder wußte, daß er sich nicht wohl fühlte, besonders, seit seine Frau ihn im vorigen Jahr wegen des muskulösen holländischen Exfußballstars, der die Fußballmannschaft von Villette trainierte, verlassen hatte. Er gewann fast immer seine Fälle, lächelte aber fast nie. Martine wunderte sich deshalb noch mehr, als er hinter dem Schreibtisch aufstand und die Mundwinkel zu etwas verzog, das stark an ein Lächeln erinnerte, als sie den Raum betrat.
– Madame Poirot, wie gut, daß Sie kommen konnten, sagte er und zeigte auf eine Sitzgruppe unter den Fenstern, setzen Sie sich.
Sein Handschlag war feucht, und seine Augäpfel waren blutunterlaufen.
– Ich habe gehört, sagte er, als sie sich auf dem roten Sofa niedergelassen hatten, daß Sie der Ansicht sind, daß es Gründe gibt, eine Voruntersuchung wegen Betrugs mit Gemeinschaftsmitteln gegen Stéphane Berger und Berger Rebar zu eröffnen? Sie können vielleicht zusammenfassen, was Ihrem Verdacht zugrunde liegt, ich möchte es gern aus Ihrem eigenen Mund hören.
Er sah erwartungsvoll aus, nicht so, als ob er sich darauf vorbereitete, ihre Argumente zu entkräften.
Martine versuchte, sich für ein überzeugendes Resümee ihrer Gründe für ihren Verdacht gegenüber Berger zu sammeln. Sie begann mit den Informationen, die sie von Jean-Claude Becker bekommen, und dem Papier, das er ihr gezeigt hatte, und fuhr mit den Informationen aus Fabien Lenormands Notizbuch fort, die Nathalie Bonnaire in ihr Diktiergerät gesprochen hatte. Und es lohnte sich zumindest festzuhalten, daß es einer Anzahl Personen, die Fragen nach Stéphane Bergers Geschäften gestellt hatten, sehr schlimm ergangen war.
– Hmm, sagte Etienne Vandenberghe, das ist ein bißchen mager, wie Sie sicher selbst wissen. Die falsche Anwesenheitsliste wiegt recht schwer, hätte aber schwerer gewogen, wenn Sie das Papier gehabt hätten. Nun ist es allerdings so, daß derselbe Verdacht von einer ganz anderen Seite an mich herangetragen worden ist, was Sie bitte bis auf weiteres für sich behalten wollen.
Er erzählte, daß vor ein paar Wochen Betrugsermittler der EU-Kommission in Kontakt mit ihm getreten seien, die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Betrug mit Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds aufgenommen hatten.
– Sie hatten einen Tip von einem Angestellten der Kommune bekommen, glaube ich, sagte Vandenberghe, jemandem, der Zugang zu Informationen aus dem kommunalen Ausbildungsunternehmen gehabt hatte, das Geld für Ausbildung bei Berger Rebar beansprucht hatte. Und deren Verdacht stimmt mit Ihrem exakt überein. Im Hinblick darauf gebe ich Ihnen jetzt den Auftrag, eine Voruntersuchung wegen Betrugs mit Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds einzuleiten.
Martine konnte ihr Glück kaum fassen.
– Ich glaube, wir sollten schnell agieren, sagte sie.
– Meinen Sie, sagte Vandenberghe, und wie begründen Sie das?
Sie erzählte von Serges Beobachtungen am Samstag.
– Ich fürchte, sie haben begonnen,
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