Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hundertjährige Jubiläum der Grube« oder so was. Aber was war so gefährlich an einem Bild aus einem Artikel über eine Grubenstillegung in einer schwedischen Zeitung, daß Fabiens Mörder es ihm aus der Hand reißen mußte?
Das war eine Frage, die niemand auch nur annähernd hätte beantworten können.
Während seiner fünfzig Tage in Villette hatte Fabien Lenormand neunzehnmal bei Berger Rebar angerufen, manchmal morgens, manchmal nachmittags, manchmal mehrere Male am Tag. Einige Gespräche waren so kurz,daß Fabien vermutlich nicht weiter gekommen war als bis zur Zentrale des Unternehmens, aber andere Gespräche hatten bis zu zehn Minuten gedauert. Das war so bemerkenswert, daß Martine sich entschloß, zu Berger Rebar hinauszufahren und in Erfahrung zu bringen, mit welcher Person oder welchen Personen er gesprochen hatte.
Berger Rebar lag auf dem Gelände von Forvil, wo am Mittwoch abend Fabiens toter Körper gefunden worden war. Schon von weitem sahen sie das wohlbekannte Logo der Berger-Unternehmen, eine rote Linie mit einem Haken im »B« des Unternehmensnamens, aus dem Wirrwarr aus Rohren, Dächern und Schornsteinen des Eisenhüttenwerks aufragen.
Der Wachmann am Haupttor von Forvil war unschlüssig, ob er sie einlassen sollte, sah aber rasch ein, daß er es nicht verweigern konnte.
– Aber Sie können nicht allein hineinfahren, sagte er zu Martines Fahrer, aus Sicherheitsgründen. Sie müssen kurz warten, während ich anrufe, damit sich jemand um Sie kümmert.
Ihre Eskorte tauchte nach weniger als fünf Minuten auf, ein junger Mann, lässig in Jeans, Polohemd und Cordsakko gekleidet. Er stieg aus seinem kleinen Renault und schüttelte Martine und Julie freundlich die Hand.
– Jean-Denis Quemard, sagte er, Informator bei Berger Rebar. Ich fahre voraus, und Sie müssen mir dicht auf den Fersen bleiben, hier auf dem Werksgelände kann einem leicht etwas passieren.
Sie rollten in sittsamen dreißig Stundenkilometern dahin, zwischen Bürogebäuden aus rußigen Ziegeln und Werksgebäuden mit qualmenden Schornsteinen, vorbei an dem hohen Hochofen mit seinen gewundenen Rohren undder blauen Flamme oben auf dem Hochofenkranz, der jetzt nur als ein Hitzeflimmern vor dem blaueren Himmel zu ahnen war. Es dröhnte und schepperte und rasselte und zischte von kräftigen Motoren, von Blechen, die auf den Betten der Walzwerke dahinrutschten, vor Hitze von Öfen und Schmelzen, von schweren Ketten, vom Löschen von Koks und Erz, von riesigen Elektrokarren, die beschleunigten, von schwer beladenen Lastzügen auf dem Weg zur Autowaage und zur Ausfahrt. Es roch nach Ruß und Schwefel und Diesel und verbranntem Eisen.
Berger Rebar lag ein Stück weiter hinten auf dem Gelände, ein einziges langes Gebäude aus dunkel gewordenen Ziegeln, bei den sich drei Stockwerke mit länglichen Bürofenstern ganz hinten am äußersten Ende zusammendrückten. Dorthin führte sie Jean-Denis Quemard.
– Wir haben es ziemlich spartanisch hier, sagte er und klang eher stolz als entschuldigend, das ist ein Teil von Stéphanes Philosophie. Das Geld soll nicht in schicke Büros und anderen Schnickschnack gesteckt werden, sondern in die Produktion. Nein, fassen Sie das Geländer nicht an, das ist ziemlich dreckig!
Julie riß eilig die Hand weg. Die Handfläche war tatsächlich schwarz von Ruß und Staub. Martine grub in ihrer Handtasche nach einem Papiertaschentuch, und Julie versuchte ohne größeren Erfolg, den Schmutzfleck wegzuwischen.
– Wir gehen rauf in den zweiten Stock, sagte Quemard, da sitzt die Direktion. Sie werden unseren Betriebsleiter, Louis Victor, kennenlernen.
– Sie sind also Informator, sagte Martine, was bedeutet das? Ich meine, wen informieren Sie und worüber?
– Ich kümmere mich um Pressekontakte, sagte Quemard,und ich halte die Kontakte zur Kommune. Und ich informiere darüber, ja, wie die Geschäfte gehen und welche Kunden wir haben und so.
– Wenn Sie sich um Pressekontakte kümmern, haben Sie vielleicht mit Fabien Lenormand gesprochen?
Jean-Denis Quemard blieb mitten auf der Treppe stehen und sah Martine erstaunt an.
– Diesen französischen Journalisten, der eine Kampagne gegen Stéphane betreibt, meinen Sie? Ja, er ist ein paarmal bei mir gelandet, er ruft ja jeden zweiten Tag an und versucht, Leute auszufragen und Interviews zu buchen. Einmal hat er so getan, als ob er von der Kommission in Brüssel aus anruft, und wollte einen Bericht darüber, wie wir die Umweltschutzfördergelder verwenden.
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