Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
soziale Verantwortung gegenüber dem Ort empfinden, wo wir unseren Betrieb haben, etwas in diesem Stil. Als ich zum zweiten Mal mit ihm sprach, habe ich das Gespräch nur angenommen, um ihm zu sagen, daß er das Ganze lassen soll. Er betreibt ja eine Art Vendetta gegen unseren Eigentümer, Stéphane Berger, wie Sie sicher gehört haben.
– Er soll gefragt haben, wie Sie die Umweltschutzfördergelder aus Brüssel verwenden, sagte Martine mit neutralem Tonfall.
Der Kugelschreiber, den Victor zwischen den Fingern drehte, fiel auf den Schreibtisch, und er warf ihn irritiert in den Papierkorb.
– Wer behauptet das? fragte er.
Martine ahnte, wie Jean-Denis Quemard hinter ihrem Rücken erstarrte.
– Oh, sagte sie vage, das ist nur ein Gerücht, das ich gehört habe. Sie wissen, wie in Villette geredet wird. Aber stimmt es?
– Es stimmt nicht, soviel ich weiß, sagte Louis Victor.
– Aber er hat oft angerufen, sagte Martine, also muß er noch mit anderen im Unternehmen geredet haben. Wie geht das, wenn man hier anruft, gehen alle Anrufe über die Zentrale?
– Ja, im Prinzip, sagte Victor.
Er sah Martines Blick auf die beiden Telefone auf seinem Schreibtisch und fügte eilig hinzu:
– Ich habe auch eine private Leitung, eine Direktleitung, die nicht über die Zentrale geht.
– Ich will die Telefonistin von der Zentrale sprechen, sagte Martine.
Louis Victor bedachte sie mit einem taxierenden Blick ganz ohne Wertschätzung und drückte auf einen Knopf am Telefon.
– Caroline, mein Engel, sagte er mit lauter Stimme, kannst du einen Augenblick hereinkommen?
Die Tür zum Vorzimmer ging verdächtig schnell auf, und Caroline kam herein, die Wangen rosig vor Neugier.
– Ja? sagte sie atemlos.
Ihr Chef lächelte sie an, ein Hundert-Watt-Lächeln, das seine Augen und sein ganzes Gesicht aufhellte und zeigte, daß Louis Victor ziemlich charmant sein konnte, wenn er nur wollte.
– Ich will, daß du Odile in der Zentrale eine Weile ablöst und sie bittest hierherzukommen, sagte er. Caroline sah enttäuscht aus, trabte aber folgsam los. Ein paar Minuten später kam eine Frau in den Fünfzigern in den Raum. Sie blickte mit ihren blauen Augen leicht resigniert hinter runden Brillengläsern hervor, und ihre graue Strickjacke war sorgfältig über einer Rüschenbluse aus Nylon geknöpft.
– Und hier haben wir Madame Favreau, unsere unschätzbare Dame von der Zentrale, sagte Louis Victor, den Charme immer noch angeknipst, sie weiß mehr darüber, was hier passiert, als ich selbst. Odile, Madame Poirot muß Ihnen ein paar Fragen stellen, ich hoffe, das geht in Ordnung?
Martine dachte gar nicht daran, ihr Verhör mit Odile Favreau in Hörweite des Betriebsleiters zu halten. Er hob die Augenbrauen, als Martine ihn bat, einen Raum zu organisieren,in dem sie ungestört mit Odile Favreau reden könnte, bat aber ohne weitere Kommentare Jean-Denis Quemard, sie in ein leeres Büro im ersten Stock zu führen.
– Ach ja, sagte Odile Favreau, als sie sich in einer verblaßten und unbequemen Sitzgruppe niedergelassen hatten, inzwischen gibt es hier reichlich leere Schreibtische, es mußten so viele gehen vor Bergers Übernahme. Es sind nur noch so wenige im Büro, daß ich mich manchmal frage, wie sie die Arbeit überhaupt schaffen können.
Odile Favreau wußte sehr wohl, wer Fabien Lenormand war. Er hatte so oft angerufen, daß sie fast Bekannte geworden waren, sagte sie. Er hatte mit ihr geplaudert, sie nach ihrem Namen gefragt, sich beklagt, wenn er abgewiesen worden war, und um Vorschläge gebeten, wie er weiterkommen könnte. Deshalb wußte sie ganz genau, mit wem er geredet hatte. Den Betriebsleiter hatte er tatsächlich ein paarmal erreicht und Jean-Denis Quemard vier-, fünfmal. Der Marketingdirektor, nach dem er ein paarmal gefragt hatte, hatte sich geweigert, seinen Anruf anzunehmen, ebenso wie der Umweltchef, den er in der letzten Zeit mehrfach zu erreichen versucht hatte. Einige Male hatte Odile Favreau Fabien zur Zentrale von Forvil weitergeleitet. Dort, glaubte sie, hatte er Kontakt mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Arnaud Morel aufnehmen wollen, ebenso wie mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden Jean-Claude Becker.
– Was glaubst du? fragte Martine Julie, als Odile Favreau in ihre Zentrale zurückgekehrt war.
– Der arme Fabien scheint bei all seinen Anrufen nicht sehr viel herausbekommen zu haben, sagte Julie nachdenklich. Aber die Sache mit den Umweltschutzfördergeldern, nach denen er in den letzten Wochen
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