Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
Vom Netzwerk:
stimmt’s? Ich heiße Thomas Héger, ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst, aber ich war in der Dritten ein Klassenkamerad von Lars-Ove.
    Der ältere Mann sah auf und betrachtete ihn einen Augenblick forschend, bevor er aufstand und Thomas’ ausgestreckte Hand nahm.
    – Klar erinnere ich mich an dich, sagte er, der »Häger« vom Pfarrhof, du warst im Hochsprung besser als Lasse. Bist du hier, um Greta zu besuchen? Ich habe gehört, daß sie ziemlich schlecht dran ist. Wie geht es ihr?
    – Sie ist müde und hat fast keine Kraft mehr, sagte Thomas, aber sie ist ja immerhin fünfundneunzig. Ach ja, sag mal, du warst doch Gewerkschaftsvorsitzender in der Grube, weißt du zufällig, wo man das Original dieses Fotos auftreiben kann, das letzte Woche mit in der Zeitung war?
    Tore Myråsen nahm den Zeitungsausschnitt und sah Thomas erstaunt an.
    – Dieses alte Bild, sagte er, das gibt es hier in Hanaberget in jedem zweiten Haushalt, ich zum Beispiel habe es in meinem Fotoalbum. Ein Fotograf von der Hammarås Tidning war da und machte das Bild, es ging um einen Artikel über den Produktionsrekord. Und die Gesellschaft kaufte das Bild und schenkte in ihrer unsagbaren Großzügigkeit allen, die zur Rekordschicht gehört hatten, einen Abzug. Das war die Belohnung, die wir bekamen.
    Er schnaubte, als ob ihn der Geiz der Grubengesellschaft vor fünfunddreißig Jahren immer noch ärgerte.
    – Du darfst dir das Foto gern von mir leihen, sagte er zu Thomas, aber was willst du damit?
    – Es klingt unglaublich, sagte Thomas, aber es ist in einer Morduntersuchung in Belgien aufgetaucht, eine Morduntersuchung, mit der meine Frau beauftragt ist.
    – Ojojojoj, sagte Tore Myråsen, davon mußt du mehr erzählen. Weißt du, daß ich einmal mit einer Delegation der Grubengesellschaft zu einem Studienbesuch bei Forvil unten in Belgien war? Ich glaube, es war 1967. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Pommes frites gegessen.
    Er zog den Reißverschluß seiner dunkelblauen Windjacke zu und drückte eine karierte Wollschirmmütze auf die borstigen weißen Haare.
    – Komm mit mir nach Hause, sagte er, ich glaube, Ellen hat Kaffee aufgesetzt. Du kannst unterwegs erzählen.
    Die Erinnerungen an seine erste Schulzeit in Hanaberget überspülten Thomas, als er auf die Treppe des Folkets Hus trat. Es war genau diese Zeit des Jahres gewesen. Der Himmel war ebenso kühlblau gewesen, und die Birken hatten ebenso goldgelb vor dem dunklen Tannenwald gelodert, der die Ortschaft umgab. Ein paarmal hatte er sich vom Schulhof auf der anderen Straßenseite weggeschlichen und seine Zuflucht in dem Winkel zwischen den beiden Gebäudereihen des Folkets Hus gesucht, um vor den neuen Klassenkameraden, die sich über seine Aussprache lustig machten, seine Ruhe zu haben.
    Und äußerlich war sich alles gleich. Die gemauerte Bank, wo er immer gesessen und belgische Comics gelesen hatte, um sein Heimweh zu betäuben, war noch da, und das rote Schulgebäude sah genauso aus wie 1965. Aber damals war der Schulhof voller tobender, lärmender Kinder gewesen. Jetzt war er fast leer. Und noch etwas war anders, etwas, was er nicht benennen konnte.
    – Hörst du, wie still es ist, sagte Tore Myråsen, seit die Grube geschlossen wurde, ist es so verdammt still, daß mir die Ohren weh tun. Früher waren immer Geräusche hier – die Förderanlage, die Steinbrechmaschine, die Lastwagen, es war wie eine Hintergrundmusik, die man schließlich nicht mehr hörte, die aber zeigte, daß der Ort lebte. Aber diese Stille …
    Er seufzte schwer.
    – Die Grube lief ja in den letzten Jahren nur im Vierteltempo, es ist ein Wunder, daß sie so lange weitermachen konnten, aber es gab einen Langzeitvertrag mit Forvil, wo man die eigenen Arbeitsprozesse unserer Erzqualität angepaßt hatte. Aber jetzt sieht alles tot aus, komm mit, du wirst sehen. Und die Betriebsleitervilla steht seit fünfzehn Jahrenleer, eine Zeitlang hauste dort eine Bande Fixer aus Hammarås.
    Tore Myråsen marschierte los, über die Landstraße und den Hang hinauf, der zur Grube führte, wo das rote Fördergerüst über der Ortschaft thronte. Links war die Abzweigung hinauf zur Betriebsleitervilla, wohin Thomas seine Großeltern manchmal begleitet hatte. Unterhalb des Hügels lag der Tennisplatz der Villa, wo sich Aron Lidelius an schönen Sommertagen manchmal an ein friedliches Tennismatch gegen den Betriebsleiter gewagt hatte, mit Thomas als Balljungen. Jetzt waren die früher säuberlich

Weitere Kostenlose Bücher