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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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trachte nicht wie andere danach, die Anhänger der neuen Religion zu metzeln oder auf den Scheiterhaufen zu bringen. Aber Ihr werdet sehen, daß es in Paris an wütenden Eiferern leider nicht mangelt, und es ist Jammer und Schande, daß Ihr Euch mit Euerm hübschen Bruder in die Höhle des Löwen wagen wollt, denn damit bringt Ihr Euer Leben in Gefahr!«
    »Verehrter Meister«, entgegnete ich, »steht nicht unser Führer Coligny gegenwärtig hoch in der Gunst des Königs?«
    Worauf Meister Béqueret fragend die Augenbrauen hob.
    »Gewiß! Aber einige vermeinen auch, daß der König Euren Coligny nur umarmt, um ihn besser ersticken zu können und samt ihm alle hugenottischen Edelleute, welche sich zur Hochzeit nach Paris verfügt haben.«
    Unter diesen Bedenken, welche mir das Herz über alle Maßen beschweren konnten, verließ mich Meister Béqueret, höchstlich erfreut ob meiner Willfährigkeit. Ich meinerseits, welcher ich der meines Samsons weniger gewiß war, begab mich ungesäumt in seine Kammer und vermeldete ihm Meister Béquerets Angesinnen.
    Ich fand ihn noch halb schlafend auf seinem Lager, nackt, wie ihn Gott erschaffen, wohlgestaltet an Leib und Gliedern, mit seinen offenen, schönen Gesichtszügen, den roten Lippen und den geöffneten blauen Augen, daß ich nicht müde ward, ihn zu betrachten, wie er sich faul rekelte (denn er liebte es, das Aufstehen hinauszuzögern) und sich in den kupferroten Locken kraulte.
    Jedoch verdunkelte sich sein Auge sogleich, als ich von der Messe zu sprechen anhub.
    »Ich gehe nicht mit«, lehnte er rundweg ab.
    »Samson«, hielt ich ihm entgegen, »wir dürfen unserem liebenswürdigen Gastgeber nicht solches Ungemach bereiten.«
    »Ich gehe nicht mit«, antwortete er, unbeugsamer als Calvin. Worauf ich in plötzlichem Zorn schrie:
    »Ihr kommt mit! Ich befehle es!«
    »Ha!« entgegnete er betrübt, »wie hart Ihr mit mir umgeht! Wenn ich kein Bastard wäre, würdet Ihr, Pierre, nicht so mit mir zu sprechen wagen!«
    »Samson«, sprach ich, legte meine Arme um ihn und küßte ihn wohl hundertmal, »wie töricht! Wer spricht hier von Bastard? Haben wir nicht denselben Vater? Und die junge Hirtin, welche dich zur Welt gebracht, muß ein achtenswertes, hübsches und gutes Frauenzimmer gewesen sein, denn Ihr seid ihr ähnlich.«
    Da er mich mit so großer Achtung von seiner Mutter sprechen hörte, welche er nicht gekannt, denn die Arme war an der Pest gestorben, als er noch in den Windeln lag, brach er in Tränenaus, was mein Herz so sehr rührte, daß ich ihn sogleich an meine Brust drückte, und indes ich seine Sommersprossen auf den weißen Wangen küßte, sprach ich zu ihm:
    »Ich darf Euch befehlen, weil ich älter bin als Ihr.«
    »Älter als ich?« erwiderte er mit seinem ergötzlichen Lispeln, »wie das? Sind wir nicht im selben Jahr und Monat geboren?«
    »Ich jedoch«, so sprach ich, »bin eine Woche eher zur Welt gekommen.«
    Worauf er unter seinen Tränen zu lachen begann, und als ich ihn diese mit dem Handrücken abwischen sah und auf seinem Gesicht der Sonnenschein wieder einzog nach diesem heftigen Gewitter, sprach ich zu ihm:
    »Samson, unser Vater hat Euch die Verwaltung unseres Säckels anvertraut und mir die Führung unserer kleinen Schar, da ich mich auf unseren irdischen Wegen besser auskenne. Ich bitte Euch also, daß Ihr mit uns zur Messe gehet.«
    »Ich werde mitgehen«, antwortete Samson, die Stirn senkend wie ein Bock, »doch verhüte Gott, daß ich unter all den Götzendienern zu ihm bete!«
    Hoho! dachte ich, was ist das für ein Eifer, der ihn am Beten hindert!
    »Dies ist, mein Herr Bruder«, so sprach ich nicht ohne Ernst, »eine Entscheidung Eures Gewissens. Doch möget Ihr Euch erinnern, daß die Papisten denselben Gott verehren wie wir.«
    »Aber auf eine gänzlich andere Art!« rief er.
    »Samson«, entgegnete ich, »ist es die Art, die zählet, oder die Liebe, welche wir unserem Schöpfer schulden?«
    Worauf er schwieg, nur halb überzeugt, doch nicht wissend, was er antworten sollte. Und indes er so schwieg, fragte ich ihn, ob er lieber den ganzen Monat August in Meister Béquerets Apotheke verbringen würde, wie man ihn gebeten, und er antwortete mir mit einem großen Seufzer: ja, denn er liebe seinen Stand über alle Maßen und sei ganz vernarrt darin, doch sehe er wohl, daß sein Bleiben sowohl mit der Vernunft als auch der Pflicht unvereinbar. Hierauf begab ich mich zur Tür, um ihn zu verlassen, als er mit einiger Verlegenheit, welche

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