Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
aber auch nur die mangelnde Routine. Jedenfalls verwandelte sich das, was sie sich als kurzen, eleganten Sprung vorgestellt hatte, in einen vierfachen Überschlag auf dem harten, holprigen Feld. Als der Wagen zur Ruhe kam, lag er auf dem Dach, dreißig Zentimeter flacher als wenige Sekunden zuvor. Henriette war durch die Windschutzscheibe hinausgeschleudert worden – eine Sekunde bevor der Wagen auf ihren Wunderkörper fiel. Die Airbags des Audis hatten sich aufgeblasen und füllten vorschriftsmäßig den gesamten vorderen Bereich der Fahrerkabine aus, nur was halfen Airbags, wenn der Fahrer so dämlich war, sich nicht anzuschnallen? Es dauerte beinahe eine Dreiviertelstunde, um Henriette unter dem Wagen herauszuschneiden. Die ganze Zeit war sie nicht bei Bewusstsein, doch als man sie endlich mit einem riesigen Kragen um den Hals in einen Krankenwagen schob, wachte sie einen Moment auf. Sie riss die grauen Augen auf, starrte den Sanitäter an, der neben ihr saß, und sagte nur ein einziges Wort: »Verdammt!« Dann schloss sie die Augen und war wieder weg. Wie sich später herausstellte, hatte sie sich die Wirbelsäule gebrochen.
»Würdest du bitte so freundlich sein und mir erklären, was hier eigentlich vor sich geht?«, verlangte Flemming und nahm am Esstisch Platz. In der hochmodernen Küche der Familie Kurt bestanden sämtliche Flächen aus Granit, Stahl und Mahagoni. Das Wohnzimmer, die Halle, die Treppe und das Schlafzimmer waren abgesperrt, die Techniker suchten intensiv nach Spuren, die der Ermittlungsgruppe einen Hinweis auf den Ablauf der Ereignisse geben konnten. John Frandsens Auto wurde in diesen Minuten zum Betriebshof der Polizei geschafft, wo es gründlich untersucht werden sollte.
Doktor Giersing war erschienen und wieder gegangen. Nach John Peter Frandsens Obduktion würde er sicher bestätigen, was er bereits vermutet hatte: John war nach einem einzigen Schuss, der mit einer deutschen Pistole aus nächster Nähe abgefeuert worden war, auf der Stelle tot. Dan hatte die Pistole im Wohnzimmer gefunden. Der Arzt hatte lange über die Wunden an Johns rechter Hand gegrübelt; als Dan seine zusammengezogenen Brauen sah, hatte er ihm mit wenigen Worten erklärt, was am frühen Vormittag vorgefallen war. Der Rechtsmediziner hatte erleichtert genickt. Er hatte einen Hundebiss vermutet, aber er sah auch, dass die Wunde so frisch war wie das Einschussloch in John Frandsens Stirn. Ein wenig verwirrend, wenn es keinen Hund in der Nähe gab.
»Uns bleibt nur etwas mehr als eine Stunde«, sagte Dan zu Flemming.
»Wofür denn?«
»Es ist Viertel vor eins.« Dan zeigte auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr. »Um zwei kommt Henriettes Bruder, um ihr dabei zu helfen, Frandsens Leiche abzutransportieren und die Spuren zu beseitigen. Es wäre schön, wenn ihr bis dahin so weit wärt, ihn zu empfangen. Dazu müssten auch die beiden Streifenwagen von der Straße verschwinden, damit er nicht schon von Weitem den Braten riecht.«
Flemmings Augenbrauen saßen ganz oben auf der Stirn. »Ihr Bruder?«
»Henriette ist die Schwester von Curt Loos, dem Mann, dem die jütländische Bordellkette gehört. Und der bis vor anderthalb Stunden John Frandsens Chef war.«
»Ist sie Holländerin?« Flemming war vollkommen konfus.
»Danach habe ich sie leider nicht mehr fragen können. Ihrer Aussprache nach zu urteilen, ist sie hier in Dänemark aufgewachsen.« Er setzte sich Flemming gegenüber. »Sebastian Kurt behauptet, Henriette und ihr Bruder hätten seit Jahren nichts mehr miteinander zu tun. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass sie ihren Mann nicht in alles eingeweiht hat. Jedenfalls ist sie so vertraut mit ihrem Bruder, dass sie ihm nicht erklären musste, über wen und was sie redete, als sie mit ihm telefonierte.«
»Wo ist eigentlich ihr Mann? Und die Kinder?«
»Die machen einen Ausflug und kommen um drei zurück. Auch um sie muss sich dann jemand kümmern.«
»Ja, ja. Das schaffen wir schon.« Flemming nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Ich muss gestehen, dass ich noch immer nicht viel begriffen habe.«
»Ich habe eine Theorie«, erklärte Dan.
Flemming setzte die Brille wieder auf und sah ihn müde an. »Eine, die du mit uns teilen willst?«
Dan sah ihn einen Moment an und lächelte dann. »Unter einer Bedingung?«
»Und die wäre?«
»Dass ich beim Verhör von Curt Loos dabei sein darf.«
Flemming schüttelte den Kopf. »Das wird leider nicht möglich sein.«
»Flemming,
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