Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
ließ sich nicht ignorieren. Er wusste, dass er das Zentrum der Ereignisse zu verlassen hatte, sobald Flemming eintraf. Er hatte sich draußen auf die Bank zu setzen, während die großen Jungs den Rest erledigten. Wollte er das? Er überprüfte sein Handy, das noch immer auf »stumm« geschaltet war. Eine SMS von Flemming. »Wo bist du?«
Dan antwortete: »Kurts Villa. Seid ihr auf dem Weg?«
Flemming: »Geh nicht rein. Zu gefährlich.«
Dan: »Zu spät. Bin im Keller.«
Flemming: »Ist noch jemand im Haus?«
Dan: »John muss oben sein. Henriette benimmt sich komisch.«
Flemming: » RAUS !«
Dan steckte das Handy ein, ohne zu antworten. Er spürte, wie es ein ums andere Mal am Oberschenkel vibrierte und Flemming verzweifelt versuchte, ihn zu erreichen, aber er hatte einen Entschluss gefasst. Wenn er die Chance haben wollte herauszufinden, was dort oben vor sich ging, dann musste er jetzt handeln.
Sein Gehör hatte ihn nicht getrogen, die Tür am Ende der Treppe war unverschlossen. Tatsächlich stand sie sogar einen Spalt weit auf. Dan blieb einen Moment lang stehen und horchte. Henriettes gedämpftes Murmeln vermischte sich mit den Geräuschen von Schubladen und Schranktüren, die aufgerissen und wieder zugeknallt wurden. Einen Augenblick später hört er sie in den ersten Stock laufen.
Sachte schob er die Tür auf und schlich in die leere Halle. Auf der Schwelle des größten Zimmers lag ein Paar schwarzer Stiefel, die aussahen, als hätten sie Größe 48 . Die Sohlen waren Dan zugewandt, er erkannte zwei mit einer Jeans bekleidete Beine. Er trat näher. Vor der Wohnzimmertür lag John Peter Frandsen mit ausgestreckten, leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken, die Arme an den Seiten, die Handflächen in einer fragenden Geste nach oben gedreht. Die offenen hellblauen Augen starrten verblüfft an die Decke, und zwischen den hellen Augenbrauen klaffte ein kreisrundes, dunkelrotes Loch in der Stirn. Eine Hand war in einen hellroten Abwaschlappen eingewickelt, den er mit Pflaster festgeklebt hatte. Der Lappen war blutdurchtränkt. Tatsächlich sah es so aus, als hätte die Bisswunde in der Hand mehr geblutet als das Einschussloch in der Stirn. Gut gemacht, Luffe!
Das Wohnzimmer sah so elegant aus wie immer. Die Sofas standen hübsch ordentlich um den niedrigen Glastisch. Ein Stapel französischer Ausgaben der
Vogue
lag auf dem Polster eines Sofas, bei der obersten Zeitschrift hatte jemand die Reportage über irgendeine Modenschau aufgeschlagen. Der Kamin brannte nicht, aber es war warm, hell und aufgeräumt – wenn man einmal von dem nicht sonderlich dekorativen Frandsen auf dem Boden und der mattschwarzen Pistole auf dem Fensterbrett absah. Dan trat über Frandsens toten Körper, zog seinen Mantelärmel über die Finger und hob die Waffe auf. Er hatte keine Ahnung von Schusswaffen und fühlte sich nicht recht wohl, als er die Pistole in die Tasche steckte. Aber was sollte er sonst damit machen? Irgendwo über sich hörte Dan Henriette rumoren. Er ging zurück in den Eingangsbereich. Die Treppe zu den beiden oberen Etagen war mit einem dicken, hellgrauen Teppich bedeckt. Es müsste möglich sein, lautlos nach oben zu kommen, dachte er.
Henriette Kurt warf keine Schubladen und Schranktüren mehr zu, er hörte sie jetzt auf und ab gehen, während sie weiter vor sich hin murmelte. Als er im langen dunklen Flur des zweiten Stocks stand, sah er, wie sich ihr Schatten in einem Viereck aus Licht bewegte, das eine offene Tür auf die graue Auslegeware warf. Er schlich zu der Tür und hielt sich dabei dicht an der Wand. Rasch warf er einen Blick in den Raum und zog den Kopf sofort wieder zurück. Es war das Schlafzimmer. In dem kurzen Moment hatte er gesehen, dass Henriette Kurt mit dem Rücken zum Zimmer vor einem großen Fenster stand. Sie hatte ein schnurloses Telefon am Ohr.
»Kurt?«, sagte sie plötzlich. Nach dem minutenlangen unablässigen, gedämpften Murmeln klang ihre normale Sprechstimme so laut, dass Dan zusammenzuckte. »Ich bin’s. Ich weiß nicht, wie es passiert ist, zum Teufel noch mal, aber er ist tot, erschossen. Ja, ja, aber … Jetzt reg dich doch bitte nicht gleich auf, Kurt! Wenn du deinen Kopf gebraucht hättest, anstatt diesen Gorilla von der Leine zu lassen, wäre das alles nicht passiert! Er hat mich erpresst, und er hat mir gedroht. Er hat eine Frau totgeschlagen, verdammt! Was sollte ich denn machen? Wann kannst du hier sein? Nicht früher? Das reicht einfach nicht, Brüderchen.
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