Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Loos lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Und hier bin ich jetzt.« Er versuchte zu grinsen, aber es reichte nur zu einer unsicheren Grimasse.
»Du wolltest mir zeigen, was du gefunden hast?« Flemmings Stimme war so nah, dass Dan zusammenzuckte.
Er drehte sich um und nickte, außerstande, etwas zu sagen. Die Wut hatte sich noch immer nicht gelegt, er hatte das Gefühl, unduldsam und geistesabwesend zu sein. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Irgendetwas störte ihn. Ein kleines Puzzleteilchen, das seinen Platz noch immer nicht gefunden hatte.
Flemming rief einen der Kriminaltechniker. Zusammen gingen die drei Männer um das Grundstück in den Wald. Dan zeigte ihnen die Stelle auf dem Weg, wo die Spuren des Kampfes noch immer zu sehen waren. Der Techniker legte ein Stück Abdeckplane darüber, bevor er die Umgebung mit dem bekannten rot-weißen Plastikband absperrte. Dann führte Dan sie zu seiner vorläufigen Hundetüten-Abdeckung über Johns Zigarettenkippen und Bierdosen. Der sorgfältige Schutz trug ihm einen anerkennenden Klaps des Technikers auf den Rücken ein. Flemming kommentierte den Fund nicht, sondern beschränkte sich auf ein Nicken.
»Ich werde einen der Beamten bitten, dich nach Hause zu bringen«, sagte er, als sie wieder auf dem Bürgersteig standen. »Du siehst aus, als hättest du für heute genug erlebt.«
Dan grinste. »Schon gut, danke. Aber ich laufe nach Hause. Es steckt noch einiges Adrenalin in mir, das ich verbrennen muss. Was ist mit dir?«
»Wenn ich hier fertig bin, fahre ich aufs Präsidium. Bei uns sitzt eine Vizekommissarin in Haft, die ich selbst verhören will.«
»Viel Vergnügen.«
Sie verabschiedeten sich. Flemming ging wieder in die Villa, wo Claus Bosse gerade die Vernehmung der Haushälterin Rosa beendet hatte.
»Das war nicht ganz uninteressant, Torp«, sagte er. »Sie hält offenbar nicht viel von ihrer Arbeitgeberin, und als ihr klar wurde, dass sie aller Voraussicht nach in der nächsten Zeit nichts mehr mit Henriette Kurt zu tun haben würde, hat sie geredet wie ein Wasserfall.«
»Worüber?«
»Rosa hat keine Ahnung von den beiden Morden und wie sie mit den Dingen zusammenhängen, die hier heute passiert sind. Sie liest keine Zeitung und sieht im Fernsehen nur Serien. Aber ich konnte sie nach dem Alibi von Henriette Kurt fragen, bevor ihr die Bedeutung der Frage bewusst war. Zum Glück. Sonst hätten wir stundenlang spekuliert, ob sie das Alibi ihrer Arbeitgeberin absichtlich hat platzen lassen. So hasserfüllt, wie sie ist.«
»Sie hat Henriettes Alibi platzen lassen?« Flemming spitzte die Ohren, sämtliche Müdigkeit war schlagartig verflogen.
»Ich habe sie gefragt, ob sie sich erinnern könne, was sich hier am Montagabend abgespielt hat. Und das konnte sie. Sie bestätigte alles, was Kurt und Henriette ausgesagt haben. Die Familie hatte Besuch von Henriettes Mutter, sie haben zu Abend gegessen, die Kinder ins Bett gebracht und einen Film gesehen. Es gibt allerdings ein ganz entscheidendes Detail, von dem sich bisher niemand die Mühe gemacht hat, es uns zu erzählen: Vom späten Nachmittag an bis ungefähr Mitternacht hat niemand im Haus Henriette Kurt gesehen. Sie vermuteten alle nur, dass sie zu Hause sein müsse.«
Flemming runzelte die Stirn. »Wie ist das denn möglich?«
»Henriette hatte einen schlimmen Migräneanfall, sie lag hinter abgeschlossener Tür und vorgezogenen Gardinen in ihrem Schlafzimmer. Wenn sie diese Anfälle hat, gibt es niemanden, buchstäblich
niemanden
, der sie stören darf. Das ist eine eiserne Regel, sogar ihre Töchter halten sich daran.«
»Warum zum Teufel erfahren wir das erst jetzt?«
»Ich glaube, die Erklärung ist sehr einfach. Wir haben die Angestellten von Kurt & Ko überprüft, nicht ihre Ehepartner. Und wenn Sebastian Kurt sagt, dass er mit seiner Ehefrau, seiner Schwiegermutter und seinen Kindern zu Hause war, dann entsprach das ja auch hundertprozentig der Wahrheit. Er glaubte wirklich, dass sie hier war. Es hatte sie ja niemand hinausgehen sehen.«
Flemming blieb unvermittelt stehen. »Sie ist am Montagvormittag im Büro gewesen, weil ihr Mann irgendetwas vergessen hatte. Bei dieser Gelegenheit muss es eine Kleinigkeit für sie gewesen sein, die Terrassentür aufzuschließen, sodass sie am späten Nachmittag zurückkommen und sich im Schrank verstecken konnte.«
Er dachte nach. »Du hast recht.«
»Womit?«, fragte Claus Bosse.
»Dass ihre Familie wirklich geglaubt hat, sie sei zu Hause.
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