Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
eigene Sprache; einen kurzen Moment lang hatte Flemming fast Mitleid mit ihr. Aber das ging schnell vorbei.
Er schaltete den Kassettenrecorder ein, sobald die beiden Frauen sich gesetzt hatten. Nach den einleitenden Formalitäten begann er mit der eigentlichen Vernehmung. »Wie bist du zu Chick Support Global gekommen, Lone?«
Wenn sie bemerkt hatte, dass er sie nicht kollegial mit dem Nachnamen, sondern längst nicht so respektvoll mit ihrem Vornamen anredete, ließ sie es sich nicht anmerken. Ihr Gesicht blieb genauso verschlossen und mürrisch wie immer. »Meinst du, wann ich angefangen habe, Frauen zur Flucht zu verhelfen, oder wann die Zusammenarbeit mit Elisabeth und Henriette begann?«
»Beides, wenn du so freundlich wärst.«
Sie schüttelte sehr entschieden den Kopf, als Pia ihre Tasse nahm, um ihr Kaffee einzuschenken, als wollte sie signalisieren, dass sie keine Bestechung annahm. »Wie du vielleicht noch weißt, habe ich einige Jahre bei der Sitte in Kopenhagen gearbeitet, bevor ich nach Christianssund kam.« Lone saß ganz still, die Hände im Schoß gefaltet, die Füße anständig nebeneinandergestellt. Ihr helles Haar lag flach auf dem Kopf. »Eigentlich habe ich gern mit den Prostituierten gearbeitet. Zu vielen hatte ich einen guten Draht, aus diesem Grund bekam ich auch oft Informationen, die andere Polizisten möglicherweise nicht so leicht erhielten. Es wird in diesem Milieu viel geredet, und wenn man einigermaßen auf dem Laufenden bleibt, kann man sich eine Menge Zeit sparen, wenn irgendetwas passiert, das ein Eingreifen erforderlich werden lässt.«
Pia Waage hielt ihren Blick unverwandt auf die andere Frau gerichtet. Es fällt ihr sicher nicht leicht, dachte Flemming. Wenn man bedachte, wie sehr sie Lone Willumsen bewunderte und wie oft sie ihre Vorgesetzte verteidigt hatte. Und jetzt musste sie hier als Zeugin sitzen.
»Eines Tages gab es Ärger mit ein paar jungen Prostituierten, die sich in die Wolle bekommen hatten. Soweit ich mich entsinne, ging es um Drogen.« Sie räusperte sich. »Als ich kurz darauf eine der Zeuginnen vernahm, ein ganz junges lettisches Mädchen, fiel mir ein, dass ich sie ein paar Monate vorher schon mal gesehen hatte. Damals hatte sie allerdings einen anderen Namen und eine andere Haarfarbe, aber es gab keinen Zweifel. Als ich sie das erste Mal sah, hatten wir sie und ein paar andere Mädchen gerettet, die über einen Mittelsmann an einen Bordellbesitzer verkauft werden sollten. Nach einigem Zureden war das Mädchen bereit gewesen, gegen die Typen auszusagen, die sie gekauft und verkauft hatten, als sie nach eigener Aussage erst fünfzehn Jahre alt war. Ohne sie hätten wir keine Chance gehabt, die Hintermänner einzubuchten, wir waren ihr damals sehr dankbar für ihre Hilfe. Nach dem Prozess hatte ich den Kontakt zu ihr verloren. Ich ging davon aus, dass sie zu ihrer Familie nach Lettland zurückgekehrt war, jetzt saß sie wieder hier. Den Grund könnt ihr euch denken. Als ich ihr etwas auf den Zahn fühlte, erzählte sie, man habe sie tatsächlich nach Lettland zurückgeschickt, es sei aber nur ein kurzes Vergnügen gewesen. Bereits einen Tag nach ihrer Ankunft suchte der Mann, der sie einige Monate zuvor an ein dänisches Bordell verkauft hatte, sie auf und zwang sie, mit ihm zu kommen. Die Strafaktion dauerte mehrere Tage. Sie zeigte mir die Narben. Es war fürchterlich.« Lone Willumsen hielt inne und betrachtete eine Weile ihre Hände.
»Was ist dann passiert?«
Lone hob den Kopf. »Ich wollte nicht mitverantwortlich sein, wenn sie ein zweites Mal nach Hause geschickt würde«, sagte sie. Zu seiner Verblüffung sah Flemming, dass ihr Tränen in den Augen standen. »Das konnte ich einfach nicht, Torp. Zunächst ließ ich sie in meinem Gästezimmer wohnen, doch dann gelang es mir, ein paar freundliche Menschen außerhalb von Kopenhagen zu finden, die ihr eine Wohnung besorgten und ihr halfen, einen Job als Putzfrau zu bekommen.«
»In Christianssund?«
Sie nickte. »Glaub nicht, dass es die einzige Stadt ist, in der Mädchen Hilfe bekommen können. Es gibt viele Menschen, die gern helfen, wenn es schon die Gesellschaft nicht tut.«
»Wie hast du von Chick Support Global gehört?«
»Durch eine Sozialarbeiterin, die in einer privaten Organisation gegen den Frauenhandel arbeitet. Als ich ein paar Mädchen nach Christianssund geschickt und nur positive Rückmeldungen erhalten hatte, gelang es mir, mich mit den Organisatoren zu treffen. Elisabeth rief
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