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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Jubad verstanden hatte, was er damit meinte: Er hatte sich gesetzt, während der Kaiser noch stand. Normalerweise wäre das als tödliche Beleidigung verstanden worden. Jubad blieb trotzdem sitzen.
    »Wenn Ihr all das schon wisst«, sagte er, mühsam seine Stimme unter Kontrolle bringend, »dann frage ich mich, was Ihr von mir wollt.«
    Der Kaiser sah ihn an mit Augen, die unergründlich waren wie der Abgrund zwischen den Sternen. »Ich will, dass du zurückkehrst und dafür sorgst, dass die Pläne geändert werden.«
    Jubad sprang entrüstet auf. »Niemals!«, rief er. »Eher sterbe ich!«
    Zum ersten Mal hörte er den Kaiser laut auflachen. »Du meinst, damit bewirkst du etwas? Sei nicht dumm. Du siehst doch, dass ich alles über euch weiß. Ich könnte die gesamte Rebellenbewegung von einer Stunde auf die andere vollkommen auslöschen, bis auf den letzten Mann und ohne, dass eine Spur zurückbliebe. Ich bin der Einzige, der weiß, wie viele Aufstände und Rebellionen es schon gegeben hat, und immer hat es mir gefallen, sie niederzuschlagen und auszurotten. Aber diesmal werde ich das nicht tun, denn die Rebellenbewegung spielt eine wichtige Rolle in meinen Plänen.«
    »Wir lassen uns nicht zu Eurem Werkzeug machen!«
    »Es mag dir nicht gefallen, aber ihr seid mein Werkzeug gewesen von Anfang an«, erwiderte der Kaiser gelassen und setzte hinzu: »Ich habe die Rebellenbewegung gegründet.«
    Jubads Gedanken blieben stehen, endgültig, wie ihm schien.
    »Was?«, hörte er sich kraftlos murmeln.
    »Du kennst die Geschichte der Bewegung«, sagte der Kaiser. »Vor rund dreihundert Jahren tauchte auf den Randwelten ein Mann auf, der aufrührerische Reden führte und es verstand, viele Leute gegen die Herrschaft des Kaisers aufzubringen. Er gründete die Keimzelle der Rebellenbewegung, und er schrieb das Buch, das über die Jahrhunderte das wichtigste Buch der Bewegung geblieben ist und dessen Titel ihr den Namen gegeben hat. Das Buch heißt Der Lautlose Wind, und der Name des Mannes war Denkalsar.«
    »Ja.«
    »Dieser Mann war ich.«
    Jubad starrte ihn an. Der Boden unter ihm schien wegzubrechen, Stück um Stück.
    »Nein …«
    »Es war ein interessantes Abenteuer. Ich verkleidete mich und hetzte gegen das Reich, und dann kehrte ich zurück in den Palast und bekämpfte die Rebellen, die ich selber aufgestachelt hatte. Ich bin in meinem Leben unendlich oft in Verkleidungen unterwegs gewesen, aber das war die größte Herausforderung. Und ich war erfolgreich – die Rebellenbewegung wuchs und wuchs, unaufhaltsam …«
    »Das glaube ich nicht.«
    Der Kaiser lächelte mitleidig. »Betrachte nur einmal den Namen. Denkalsar – das ist ein Anagramm meines Namens, Aleksandr. Ist euch das niemals aufgefallen?«
    Der Boden unter Jubad schien endgültig nachzugeben. Die Tiefe tat sich auf und wollte ihn verschlingen.
    »Aber – warum?!«, brachte er hervor. »Warum das alles?«
    Er kannte die Antwort, schon. Alles war nur ein Spiel gewesen, das der Kaiser in seinem Überdruss mit sich selbst gespielt hatte, um sich die Zeit zu vertreiben. Alles, woran er, Jubad, mit allen Fasern seines Seins geglaubt hatte, diente in Wahrheit dem Amüsement des unsterblichen, allmächtigen Herrschers. Er hatte die Rebellenbewegung ins Leben gerufen; er würde sie wieder auslöschen, wenn er sie satt hatte.
    Es schien keine Chance zu geben, keine Hoffnung gegen seine Allgegenwart. Ihr Kampf war von Anfang an aussichtslos gewesen. Vielleicht, dachte Jubad dumpf, war er tatsächlich der Gott, für den man ihn hielt.
    Der Kaiser blickte ihn lange schweigend an, aber er schien ihn nicht wirklich zu sehen. Sein Blick war abwesend. Erinnerungen, Jahrtausende alt, spiegelten sich auf seinem Gesicht.
    »Es ist sehr lange her, und es mag schwer vorstellbar sein, aber auch ich war einmal ein junger Mann, so alt wie du heute«, fing er langsam an zu erzählen. »Mir war bewusst geworden, dass ich nur diesen einen Lebensfunken hatte, und was immer ich wollte, ich musste es ergreifen, ehe er erlosch. Und ich wollte viel. Ich wollte alles. Meine Träume kannten keine Grenzen, und ich war bereit, alles zu tun, um sie Wirklichkeit werden zu lassen, mir das Äußerste abzuverlangen, um das Höchste zu erreichen. Ich wollte vollbringen, was niemals jemand vollbracht hatte; ich wollte Meister aller Klassen sein, Sieger in allen Disziplinen, ich wollte das Universum in meiner Hand halten und seine Vergangenheit und seine Zukunft dazu.«
    Er machte eine vage Geste.

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