Die Haarteppichknüpfer - Roman
»Die Bewusstseinsinhalte der Kaiser vor mir leben in mir weiter, und daher weiß ich, dass sie von der gleichen Einsicht getrieben waren. In meiner Jugend regierte Kaiser Aleksandr der Zehnte, und ich war entschlossen, sein Nachfolger zu werden. Ich schaffte es, in seine Schule der Söhne des Kaisers aufgenommen zu werden, und ich log und betrog, bestach und mordete, bis ich sein Favorit geworden war. Auf seinem Sterbebett übergab er mir die Herrschaft über das Reich, vertraute mir das Geheimnis der Langlebigkeit an und nahm mich auf in den Kreis der Kaiser.«
Jubad hing an den Lippen des Herrschers. Ihm schwindelte bei dem Versuch, sich vorzustellen, vor wie undenklich langer Zeit all das geschehen war.
»Aber es gab noch mehr zu erreichen, noch mehr zu erringen. Ich hatte Macht und ein langes Leben, und ich rang um mehr Macht und mehr Leben. Ich ruhte nicht, ehe aus Langlebigkeit nicht Unsterblichkeit geworden war. Ich führte Krieg um Krieg, um die Grenzen des Reiches weiter und weiter auszudehnen in die Unendlichkeit. Je mehr Macht ich hatte, desto gieriger wurde ich nach noch mehr Macht. Es gab kein Ende. Es war ein Fieber, das uns vorwärts trieb. Was wir auch hatten, es gab immer die Verheißung auf noch mehr davon.«
Der Blick des Kaisers war auf die Sternenprojektion gerichtet. »Wir haben Macht errungen, wir haben sie festgehalten und ausgekostet ohne jede Rücksicht. Wir haben Kriege geführt, Völker unterdrückt oder ausgerottet und stets erbarmungslos unseren Willen durchgesetzt. Es gab niemanden, der sich uns entgegenzustellen vermochte. Wir haben Grausamkeiten begangen, gegen die alle Geschichte wie Kindermärchen klingt, Grausamkeiten, für die die Sprache keine Worte mehr hat und die keine Fantasie zu erdenken vermag. Und niemand gebot uns Einhalt. Wir sind bis zu den Hüften in Blut gewatet, und kein Blitz schmetterte uns nieder. Wir haben die Schädel zu Haufen geschichtet, und keine höhere Macht wehrte uns. Wir brachten Ströme von Menschenblut dar, und kein Gott griff ein. Da beschlossen wir, dass wir selber Götter waren.«
Jubad wagte kaum zu atmen. Er hatte das Gefühl, zu ersticken, erdrückt zu werden von dem, was er hörte.
»Wir hatten die Macht über die Leiber, und wir gingen daran, die Macht über die Herzen zu erobern. Jeder Sterbliche, unter welcher Sonne auch immer, fürchtete uns, aber das genügte uns nicht mehr: Er sollte lernen, uns zu lieben. Wir schickten Priester aus, die unseren Namen heiligten und unsere Allmacht in allen Galaxien verkündeten, und wir schafften es, die alten Götterbilder aus den Herzen der Menschen zu vertreiben und selber ihren Platz einzunehmen.«
Der Kaiser schwieg. Jubad starrte ihn regungslos an. Die Luft im Raum schien aus massivem Stahl zu bestehen.
Unendlich langsam drehte sich der Herrscher zu ihm um. »Ich habe erreicht, was ich wollte. Absolute Macht. Ewiges Leben. Alles«, sagte er. »Und nun weiß ich, dass es bedeutungslos ist.«
Jubad spürte unsagbare Öde in diesen Worten, und er erkannte mit einem Mal, dass das der Geruch des Reiches war – diese atemlose Erstarrung, diese hoffnungslose Dunkelheit. Der Atem einer Fäulnis, die nicht um sich griff, weil die Zeit stillstand.
»Die Macht ist eine Verheißung, die nur existiert, solange Hindernisse einen davon abhalten. Wir haben unermessliche Macht angehäuft, aber wir haben das Rätsel des Seins nicht gelöst. Wir sind den Göttern näher als den einfachen Menschen, aber die Erfüllung ist ausgeblieben. Das Reich, so groß es ist, ist nur ein Staubkorn im Universum, aber es ist absehbar, dass auch noch mehr Macht uns der Erfüllung nicht näher bringen wird. Soll ich noch eine Galaxis erobern? Was kann das nützen? Wir haben niemals andere Wesen gefunden, die uns Menschen vergleichbar gewesen wären, und die Menschen leben ausnahmslos unter meiner Herrschaft. Und so herrscht seit Jahrtausenden Stillstand, nichts regt sich mehr; alles funktioniert, aber nichts Neues geschieht. Was mich anbelangt, hat die Zeit aufgehört zu existieren. Es ist gleichgültig, ob ich nun hunderttausend Jahre gelebt habe oder nur eines, es hat keinen Sinn, diesen Weg fortzusetzen. Wir haben erkannt, dass unsere Suche gescheitert ist, und wir haben beschlossen, die Menschen aus unserem Joch zu entlassen, zurückzugeben, was wir errungen haben, und nichts davon zu behalten.«
Die Worte fielen wie Hammerschläge in die Stille. Jubad wurde das Gefühl nicht los, sich in Rauch aufgelöst zu
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