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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einem für immer ins Gedächtnis gebrannt bleiben wie übergroße, leuchtende Bilder. Wann immer sich Jubad später die Frage stellen sollte, welches der beeindruckendste und aufwühlendste Moment seines Lebens gewesen war, so musste er sich widerwillig immer wieder gestehen: dieser.
    Die Gegenwart des Kaisers traf ihn wie ein Hammerschlag. Natürlich kannte er dieses Gesicht; jeder Mensch kannte es, im Laufe der Jahrtausende schien die intime Kenntnis dieses Gesichts Teil des menschlichen Erbguts geworden zu sein. Er hatte Filme von ihm gesehen, Ansprachen von ihm gehört, aber nichts davon hatte ihn vorbereitet auf- das …
    Da war er. Der Kaiser. Seit Jahrzehntausenden Herrscher über die Menschheit, über das gesamte besiedelte Universum, alterslos und jenseits aller gewöhnlichen menschlichen Maßstäbe. Er war ein schlanker, großer Mann mit einem kraftvollen Körper und einem scharf geschnittenen, geradezu perfekten Gesicht. Gekleidet in ein schlichtes weißes Gewand, betrat er den Raum mit unendlicher Gelassenheit, ohne die geringste überflüssige Bewegung und ohne jede Hast. Sein Blick fiel auf Jubad, und der meinte darin zu versinken wie in zwei endlos tiefen, schwarzen Brunnenschächten.
    Es war überwältigend. Es war, als begegne man einer mythologischen Gestalt. Jetzt verstehe ich, warum man ihn für einen Gott hält!, war alles, was Jubads armes Gehirn denken konnte.
    »Erhebt euch.«
    Auch der Klang seiner Stimme war vertraut, dunkel, nuanciert, verhalten. So sprach jemand, der jenseits von Zeit lebte. Um Jubad herum erhoben sich die Männer der Leibgarde und blieben mit demütig gesenkten Köpfen stehen. Entsetzt bemerkte Jubad, dass auch er beim Eintreten des Kaisers unwillkürlich auf die Knie gefallen war. Er sprang auf.
    Der Kaiser sah Jubad wieder an. »Nehmt ihm die Fesseln ab.«
    Zwei der Gardisten befreiten Jubad von den letzten Ketten, rollten sie klirrend auf und ließen sie in ihren Uniformtaschen verschwinden.
    »Und nun lasst mich mit dem Rebellen allein.«
    Entsetzen tauchte für einen Lidschlag in den Gesichtern der Soldaten auf, doch sie gehorchten ohne Zögern.
    Der Kaiser wartete reglos, bis alle verschwunden waren und die Türen hinter sich geschlossen hatten. Dann warf er Jubad einen kurzen Blick zu, lächelte ein dünnes, unergründliches Lächeln und ging an dem Rebellen vorbei in den Raum hinein, ihm achtlos den Rücken zuwendend, als sei er gar nicht da.
    Jubad schwindelte fast, so brennend pulsierte etwas in ihm, das sagte: Töte ihn! Töte ihn! Dies war eine Gelegenheit, die in tausend Jahren nicht wiederkehren würde. Er war allein mit dem Tyrannen. Er würde ihn töten, mit bloßen Händen, mit Zähnen und Fingernägeln, und das Reich von dem Diktator befreien. Er würde die Mission der Rebellen erfüllen, allein. Seine Hände ballten sich lautlos zu Fäusten, und sein Herz schlug so stark, dass er meinte, das Echo müsste im ganzen Raum widerhallen.
    »Dein ganzes Denken«, sagte der Herrscher unvermittelt, »kreist jetzt nur um die Vorstellung, mich zu töten. Habe ich Recht?«
    Jubad schluckte. Die Luft aus seinen Lungen entwich keuchend. Was ging hier vor? Was für ein Spiel spielte der Kaiser mit ihm? Warum hatte er die Leibgarde hinausgeschickt?
    Der Kaiser lächelte. »Natürlich habe ich Recht. Von einer Situation wie dieser träumen die Rebellen doch seit Jahrhunderten – allein zu sein mit dem verhassten Despoten … Ist es nicht so? Sag doch auch einmal etwas; ich würde gern hören, wie deine Stimme klingt.«
    Jubad schluckte. »Ja.«
    »Du würdest mich jetzt gerne töten, stimmt es?«
    »Ja.«
    Der Kaiser breitete die Arme aus. »Nun, Krieger, hier stehe ich. Warum versuchst du es nicht?«
    Jubad kniff misstrauisch die Augen zusammen. Er musterte den Gottkaiser, der geduldig wartend dastand in seiner schmucklosen weißen Robe, die Hände in einer Geste der Wehrlosigkeit ausgebreitet. Ja. Ja, er würde es tun. Mehr als sterben dabei konnte er nicht. Und mehr als sterben wollte er ohnehin nicht mehr.
    Er würde es tun. Jetzt. Gleich, sobald er herausgefunden hatte, wie er seinen Körper dazu bewegen konnte, anzugreifen. Er sah in diese Augen, die Augen des Kaisers, des Herrn über die Elemente und die Gestirne, des allmächtigen Herrschers, und die Kraft in ihm erlahmte. Seine Arme verkrampften sich. Er keuchte. Er würde es tun. Er musste ihn töten. Er musste, aber sein Körper gehorchte ihm nicht.
    »Du kannst es nicht«, stellte der Herrscher fest. »Das

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