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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nickte.
    »Die zweite Sache betrifft uns beide, dich und mich«, fuhr der uralte Mann fort und sah den Rebellen prüfend an. »Es ist wichtig, dass du dieses Gespräch als dein Geheimnis mit ins Grab nimmst.«
    »Warum?«
    »Die Menschen müssen glauben, dass sie ihre Freiheit zurückerobert haben; sie müssen stolz sein können auf ihren Sieg- dieser Stolz wird ihnen über die kommenden schweren Zeiten hinweghelfen. Sie dürfen nicht erfahren, dass es nicht ihr Sieg war. Niemals. Sie dürfen nicht erfahren, dass sie die Freiheit schon ganz und gar verloren hatten und dass es meines Eingreifens bedurfte, um sie ihnen wiederzugeben. Um der Selbstachtung zukünftiger Generationen, um der Zukunft aller Menschen willen musst du schweigen.«
    Jubad, der Rebell, sah in die Augen des Kaisers und sah die unauslotbare Müdigkeit darin. Er nickte, und es war wie ein feierliches Versprechen.
    Als die Rebellen ein halbes Jahr später den Palast eroberten, setzte sich Jubad unauffällig von seiner Kampfgruppe ab. Sie hatten die Palastwachen völlig überrascht. Überall wurde geschossen, aber am Ausgang des Kampfes konnte es keinen Zweifel geben. Jubad erreichte unangefochten die Randbezirke des riesigen Palastes und betrat schließlich den Raum, in dem der Kaiser auf ihn wartete.
    Er stand an der gleichen Stelle, an der Jubad ihn zuletzt gesehen hatte. Diesmal trug er seine offizielle Paradeuniform und um die Schultern den Kaisermantel.
    »Jubad«, sagte er einfach, als der Rebell eintrat. »Bist du diesmal bereit?«
    »Ja«, erwiderte Jubad.
    »Dann lass es uns zu Ende bringen.«
    Jubad zog seine Strahlwaffe und wog sie zögernd in der Hand. Er betrachtete den Kaiser, der ruhig dastand und ihn ansah.
    »Tut es dir Leid, was du getan hast?«, fragte der Rebell.
    Der Kaiser hob den Kopf. »Nein«, sagte er. Die Frage schien ihn zu überraschen.
    Jubad sagte nichts.
    »Nein«, wiederholte der Kaiser schließlich. »Nein. Ich bin in diese Welt geboren worden, ohne zu wissen, was es mit dem Leben auf sich hat. Die Macht war die einzige Verheißung, die die Erfüllung dieses Lebens versprach, und ich folgte ihr – weit genug, um zu erkennen, dass es eine falsche Verheißung ist und dass dieser Weg im Nichts endet. Aber ich habe es versucht. Wenn wir schon keine Antworten bekommen auf unsere Fragen, so ist es doch das unveräußerliche Recht jedes Lebewesens, danach zu suchen; mit allen Mitteln, auf allen Wegen und mit allen Kräften. Was ich getan habe, war mein Recht.«
    Jubad erschauerte unter der Härte seiner Worte. Der Kaiser war unerbittlich gegen alle, auch gegen sich selbst. Bis zuletzt gab er den harten Griff nicht auf, den er hunderttausend Jahre lang ausgeübt hatte. Selbst im Tod und darüber hinaus bestimmte er das Schicksal der Menschheit.
    Er hat Recht, erkannte Jubad bestürzt. Er wird die Macht, die er errungen hat, nicht wieder los.
    Er spürte den Griff der Waffe schwer in seiner Hand.
    »Ein Gericht würde vielleicht anders urteilen.«
    »Du musst mich töten. Wenn ich am Leben bleibe, werdet ihr scheitern.«
    »Vielleicht.«
    Jubad hatte sich gewappnet für den Zorn des Kaisers, doch zu seiner Überraschung las er in dessen Augen nur Ekel und Überdruss.
    »Ihr Sterblichen seid glücklich«, sagte der Herrscher langsam. »Ihr lebt nicht lange genug, um zu erfahren, dass alle Dinge eitel sind und das Leben ohne Sinn. Was glaubst du, warum ich all das getan habe, all die Mühe auf mich genommen habe? Ich hätte alle Menschen mit mir in den Tod nehmen können, wenn ich das gewollt hätte. Aber ich will es nicht. Ich will nichts, nichts mehr zu tun haben mit dem Dasein.«
    Von draußen drangen Schreie und die Geräusche von Schüssen herein. Die Kämpfe kamen näher.
    »Schieß jetzt!«, befahl der Kaiser scharf.
    Und Jubad hob, reflexartig und ohne nachzudenken, seine Waffe und schoss dem Kaiser durch die Brust.
    Später feierten sie ihn als Befreier, als Bezwinger des Tyrannen. Er lächelte in Kameras, nahm triumphierende Posen ein und hielt umjubelte Reden, aber bei alldem war er sich stets bewusst, den Sieger nur zu spielen. Er allein wusste, dass er kein Sieger war.
    Bis ans Ende seines Lebens würde er sich fragen, ob auch dieser allerletzte Moment zum Plan des Kaisers gehört hatte.
    Einsicht allein hält der Zeit nicht stand; sie verändert sich und vergeht. Scham aber ist wie eine Wunde, die man niemals offenlegt und die darum niemals heilt. Er würde sein Versprechen halten und Stillschweigen bewahren,

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