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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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den stählernen Kolossen des Feindes auch nur einen Kratzer beizufügen.
    »Wie stellst du dir das vor?«
    »Ich will einen von ihnen töten und seine Waffen erbeuten«, erklärte Onnen ruhig. »Unsere Waffen richten nichts aus gegen ihre Maschinen, aber wenn wir ihre eigenen Waffen gegen sie richten, haben wir vielleicht eine Chance.«
    Es war ein Traum. Ein Albtraum. »Onnen, es sind tausende von Maschinen. Selbst wenn wir eine davon zerstören könnten, würde das nichts ändern …«
    »Aber wenn wir eine erobern und damit die anderen angreifen – das würde etwas ändern!«
    »Sie sind übermächtig, Onnen. Zerstöre eine, und hundert andere kommen an ihre Stelle.«
    Die Stimme des Anführers war plötzlich schneidend, unduldsam. »Sagtest du nicht, du entscheidest dich immer für den Kampf, Cheun?«
    Cheun schwieg.
    »Jetzt ist unsere einzige Gelegenheit zu handeln«, erklärte Onnen. Er legte seinen Arm um Cheuns Schulter, und obwohl er es nicht sehen konnte, ahnte Cheun, dass der Anführer hinab in die Ebene deutete, auf die Grenze. »Sie haben den Zaun abgebaut, der die Blitze schleudert, und ihre Maschinen stehen weit genug voneinander entfernt, dass ein Mann dazwischen durchschlüpfen kann. Und schau genau hin – zwischen manchen der Maschinen ist das Licht sehr, sehr schwach. Wir können uns im Schutz der Dunkelheit anschleichen, ins Graue Land eindringen und von hinten her angreifen – damit rechnen sie bestimmt nicht. Wir warten, bis einer von ihnen allein unterwegs ist, und töten ihn mit einem Pfeil.«
    Cheun musste zugeben, dass Onnen sich diesen Plan gut überlegt hatte. Sie hatten tagsüber oft einzelne Personen hinter der Reihe der fahrbaren Maschinen umhergehen sehen. Das Graue Land bot zwar keinerlei Versteck, aber das war ja nicht nötig, solange es noch dunkel war. Sie würden von einer Seite angreifen, von der aus die Feinde nicht mit einem Angriff rechneten, und da die Maschinen in ihr fahlblaues Licht gehüllt standen, würden sie den Feind sehen können, dieser sie aber nicht.
    Und es war besser, im Kampf zu sterben als auf dem Krankenlager.
    »Ich folge dir«, sagte Cheun.
    Onnen schlug ihm auf die Schulter, zufrieden, aber auch erleichtert. »Ich wusste es.«
    Da das wagemutige Unterfangen nun beschlossene Sache war, zögerten sie keinen Augenblick. Onnen versammelte die Männer um sich und erklärte noch einmal, was sie tun würden. Er bestimmte einen der Jüngsten zum Wachposten, der zurückbleiben würde, ließ die wenigen Waffen überprüfen, die sie hatten – Steinäxte, Speere, Bogen und Pfeile –, und dann begannen sie den Abstieg hinab zu den Feldern.
    Sie fanden den Pfad auch in der Finsternis. Finger tasteten nach vorstehenden Steinen und toten Aststummeln, nach staubigem Moos und Felsrillen. Füße glitten suchend über Geröll, fanden Stufen und Mulden und Felsvorsprünge. Jeder wusste, wann er sich ducken musste und wo er aufpassen musste, um nicht abzustürzen.
    Cheun spürte, wie grimmige Wut in seinem Herzen aufloderte und seinen Kampfgeist anstachelte. Er hatte seinen Hass auf die Feinde oft verdrängt, weil es wehtat, sich seine Unterlegenheit, seine absolute Ohnmacht eingestehen zu müssen. Die bloße Idee, dass es möglich sein könnte, dem übermächtigen Feind wenigstens eine schmerzende Wunde zuzufügen, öffnete nun dem angestauten Hass eines ganzen Lebens die Schleusen und erfüllte ihn mit gnadenloser Energie.
    Sie waren von einer anderen Welt gekommen, um zu töten und zu zerstören, und wenn es dafür jemals einen Grund gegeben hatte, so war er seit Menschengedenken in Vergessenheit geraten. Und was würde sein, wenn sie einst ihr sinnloses Werk vollbracht, wenn sie alle getötet und die ganze Welt mit ihrem grauen Gestein überzogen hatten? Vielleicht, überlegte Cheun, verhielt es sich ganz anders, als die Legenden erzählten. Vielleicht mussten sie die Feinde vernichten, um die Sterne wieder zu sehen.
    Schließlich spürte er das dürre Gras der Ebene an seinen Waden. Sein Mund war trocken, und er wusste, dass es den anderen ähnlich ging. Niemand sprach ein Wort.
    Sie marschierten auf das blaue Glimmen zu, über dürre, raschelnde Grasbüschel, durch verräterisch knackende Krüppelgestrüppe und junge Stauden, die auf den Feldern wuchsen und niemals mehr reifen würden. Die Schwärze ringsum hüllte sie ein, war endlos in alle Richtungen bis auf das dunkelblaue Schimmern vor ihnen, das wie eine Naht von einem Ende der Welt zum anderen zu reichen

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