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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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schien. Außer dem Geräusch ihrer Schritte und ihres Atems war nichts zu hören. Alle Tiere, selbst die kleinsten Nager und die Insekten, flüchteten vor der Grenze zum Grauen Land. Nur sie marschierten darauf zu.
    Als sie die Felder hinter sich hatten, hielt Onnen die Gruppe an.
    »Wir müssen uns genau überlegen, wie wir vorgehen«, raunte er. »Ich denke mir, am besten gehen wir in Zweiergruppen. Jede Gruppe sucht sich einen anderen Spalt aus, um zwischen den Fahrzeugen durchzuschlüpfen, und wir treffen uns danach drüben im Grauen Land. Und wir gehen nacheinander; nicht alle auf einmal. Oder hat jemand einen besseren Vorschlag?«
    Niemand sagte etwas. Hände tasteten durch die Dunkelheit, bildeten stumm Zweiergruppen.
    »Also – los!«, zischte der Anführer.
    Die erste Gruppe huschte los. Nach einer Weile wurden die Körperumrisse der beiden jungen Krieger gegen das Grenzlicht sichtbar. Vor den Fahrzeugen des Feindes sahen sie unerwartet klein und zerbrechlich aus, und Cheun wurde erst jetzt durch den Vergleich bewusst, wie gewaltig die Maschinen waren – riesige, düstere Metallberge auf gepanzerten Rädern.
    Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Die Feinde waren Diener des Bösen, ja, und sie waren stärker. Sie waren unendlich stark. Sie waren die Sieger, und sie würden Sieger bleiben für alle Zeiten.
    Und ihnen blieb nur der ehrenvolle Tod. Wenigstens brachte er die Erlösung von ewiger Flucht und aussichtslosem Leiden.
    Zwei knallende Geräusche wie Peitschenhiebe durchschnitten die frostige Nachtluft und ließen die Wartenden zusammenzucken. Entsetzt verfolgten sie, wie die beiden Krieger mit haltlos flatternden Armen zusammenbrachen.
    »Halt!« Onnen schrie es, um die zweite Gruppe zu stoppen, die sich schon auf den Weg gemacht hatte.
    Regungslos standen sie da und warteten. Nichts geschah, alles blieb still.
    »Wir müssen uns etwas überlegen«, flüsterte Onnen schließlich. »Es scheint kein Durchkommen zu geben, obwohl der Zaun nicht mehr da ist. Wir müssen uns etwas anderes überlegen …«
    Cheun streckte die Hand aus und berührte ihn am Arm. »Es hat keinen Sinn, Onnen. Wenn wir nicht in das Graue Land eindringen können, dann können wir nichts ausrichten.«
    »Ich weigere mich, einfach aufzugeben!«, zischte Onnen wütend. »Wir müssen noch einmal nachdenken …«
    Plötzlich war ein tiefer, brummender Ton in der Luft, der langsam lauter wurde, ein Ton wie Donnergrollen in der Ferne. Cheun drehte sich einmal um sich selbst, versuchte die Quelle des Geräuschs auszumachen. Es klang bedrohlich.
    »Der Angriff«, hauchte jemand. »Es geht los.«
    »Sie sind noch nie nachts vorgerückt«, beharrte Onnen dickköpfig.
    Ein hohes Surren kam hinzu, wie ein riesiger Mückenschwarm, der unerbittlich näher kam. Jetzt war sich Cheun sicher, dass es von der Kette der gewaltigen Fahrzeuge herrührte. Und es wurde immer lauter und schriller.
    »Doch«, sagte er. »Das sind sie.«
    Da brach das Licht über sie herein, unerträglich gleißend nach der vollkommenen Finsternis, überwältigend in seiner von Horizont zu Horizont reichenden Fülle. So unerwartet traf es ihre unvorbereiteten Augen, dass es heller als die Sonne zu sein schien, heller als hundert Sonnen. Cheun presste die geballten Fäuste vor die geschlossenen Augen, und dennoch drang Licht durch die Lider, als würde es hindurchgepresst, und schmerzte. Und dann bebte der Boden unter seinen Füßen, und er wusste, was das bedeutete: Die Maschinen des Feindes hatten sich in Marsch gesetzt und rollten jetzt vor, unaufhaltsam, auf sie zu.
    »Zurück!«, schrie er und stolperte rückwärts, immer noch mit geschlossenen, tränenden Augen, in denen das Licht brannte wie Feuer. Das dumpfe Grollen der grauen Kolosse erfüllte die Luft, das knirschende Mahlen ihrer Räder und das Bersten von Geäst und Gestein unter ihnen. Es war mit einem Mal so laut, dass er die anderen nicht mehr hören konnte.
    Und dann waren da wieder die scharfen, gellenden Laute, denen jedes Mal Schreie seiner Kameraden folgten. Cheun rannte, rannte um sein Leben und um das seiner Horde. In ihm waren Wut und Angst, und beide verliehen seinen Füßen Flügel. Kampf. Auch das konnte Kampf sein. Manchmal war Kampf, zu rennen, davonzurennen vor einem übermächtigen Feind und alles zu versuchen, um zu entkommen.
    Wieder ein Knall wie ein Peitschenhieb weit hinter ihm, und dieser hatte ihm gegolten. Er spürte den jähen Schmerz wie einen Blitz in sich, der durch den ganzen

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