Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
Vom Netzwerk:
Dann tauchte ihr Gesicht wieder auf, so, wie es unzählige Male hinter einer Tür auftauchen würde, vertraut, ohne ihr Zutun vertraut, ohne Absicht. Wie einen Stich spürte er Gewohnheit, Liebe. Aber auch Unsicherheit, dachte er, weil die Gewohnheit nur einen Teil des Territoriums bedeckte, anderes nur zeitweilig überspülte, dann wieder freigeben mußte, weil etwas unberechenbar blieb.
    Wenigstens Dinge sollten an ihren Ort zurückkehren, dachte er weiter, Häuser zu ihren Besitzern, Gründstücke zu ihren Eignern, die Turbulenzen, Ungerechtigkeiten konnten noch ausgeglichen werden, weil Menschen nicht nur Menschen (allzu kurzfristig und fahrlässig und ausgesetzt, hilflos nackt selbst unter der Schutzschicht funktionierender Gesetze), sondern auch Rechtssubjekte waren. Gerechtigkeit, dachte er, gab es nur, wo sie sich materialisieren konnte, in Grundbucheinträgen, Verkaufsverträgen, notariellen Beglaubigungen, ein dünner Faden, den man aufnehmen und verfolgen konnte. Jetzt räumte Isabelle ihre Kleider ein, ihre Blusen neben seine Hemden, Pullover, zögerte, unterschiedliche Stapel, leuchtende Farben. Sie war mit ihm nach London gekommen. Wenn er jetzt an seine Fahrten durch Brandenburg Anfang der 90er Jahre dachte, an seine Hochgestimmtheit, ein Indiz, einen wichtigen Eintrag gefunden zu haben, der den Verlauf eines Verfahrens verändern konnte, begriff er, daß er naiv gewesen war, aber doch den Kern berührt hatte. Es gab keine abstrakte Gerechtigkeit, aber doch etwas wie einen Zustand von Gerechtigkeit, den er wiederherstellen helfen wollte. Menschen wurden wieder in ihre Rechte eingesetzt, weil sie Rechtssubjekte waren, Teile eines Geflechts aus Gesetzen und Geschichte. An der Idee, Dinge, wenn nicht zu heilen, so doch zu ordnen, hielt er fest. Besitztümer vermischten sich, weil sich die Lebensläufe von Menschen vermischten. Was gewaltsam als Trennung dazwischenfuhr, mußte vermieden oder rückgängig gemacht werden. Isabelle beugte sich zum letzten Mal zu dem dritten Koffer hinunter. Leicht berührte Jakob mit dem Daumen seinen Ehering. Dann klappte sie den Koffer zu. Er mußte an das kleine Mädchen der Nachbarn, dessen blasses Gesicht ihm unheimlich war, nun nicht mehr denken, der Weg zwischen seinem Zuhause und der Kanzlei war ein anderer geworden, kein Bucklicht Männlein, und sein Leben war das eines Ehemannes. Schutzwürdig und redlich , wie es in Fiebergs und Reichenbachs Einführung zum Vermögensgesetz stand, wenn schon nicht in gutem Glauben . Er lächelte in sich hinein, über diese Ungerechtigkeit sich selbst gegenüber; er würde sein Bestes tun. Veränderungen brachten immer etwas mit sich, das noch ungeordnet und wirr war. Gerade, als er Isabelle von seinem Bürozimmer, von Bentham erzählen wollte, richtete sie sich verwundert lachend auf. Wie kindlich und weich ihr Kinn war. Sie kam zu ihm.
    –Stell dir vor, ich habe vergessen, Schuhe einzupacken. Ihre Hände zeigten in die Luft. Leer. Hinter ihrer Stirn deutlich sichtbar, wenn auch durchsichtig und nicht zu fassen, ihre Gedanken, Wünsche. Sie näherte sich ihm, umfaßte seinen Kopf, fühlte die weichen Haare, so viel dünner als ihre eigenen, er kam ihr schutzlos vor. Die Sonne, von ihrem niedrigen Stand aus gerade über die Mauer eines Gärtchens reichend, schien jetzt direkt ins Zimmer, eine Sirene näherte sich und verebbte wieder. Er umfaßte ihre Hüften, die Finger tasteten die Nähte der Jeans entlang. Aufgenähte Taschen. Nieten. Wie weich die Haut darunter war, als er den Reißverschluß öffnete, schließlich die Jeans ein Stück weit hinunterzog, seine Finger verharrten unsicher, und dann noch weichere Haut, verborgen, täuschend, dachte er, als wäre ihre Berührung eine Illusion, die Zärtlichkeit seiner Küsse, während seine Gedanken ziellos umherwanderten. Er wünschte, sie wäre weniger hübsch. Andras hätte sie nicht anders geküßt, dachte er, aber sie gehörte ihm, sie stand vor ihm, lautlos, und dann ließ Jakob sich jäh aufs Bett fallen und zog sie mit sich.

    Hand in Hand gingen sie die Straße entlang, vorbei an den Gemüse- und Zeitschriftenläden, den Tafeln mit den Schlagzeilen des Evening Standard , den Ständern mit den Zeitungen, es dämmerte schon, Inspektoren zurückgerufen, Ergebnisse der neuesten Umfragen, Our intelligence officials estimate that Saddam Hussein had the materials to produce as much as 500 tons of sarin, mustard and VX nerve agent. In such quantities, these chemical agents could

Weitere Kostenlose Bücher