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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Umarmung nicht angewiesen.
    Wie sollte er Isabelle gegenübertreten, fragte Jakob sich, als er schließlich in die Lady Margaret Road einbog. Er hätte sich aber nicht sorgen müssen, denn sie war nicht da. Auf ihrem Tisch lag eine Tuschezeichnung. Das Mädchen kletterte auf einen Baum, unten stand ein alter Mann und schaute hinauf. Isabelle veränderte sich auch, spürte er, es war, als beträten sie, jeder für sich, unbekanntes Terrain, und er fürchtete sich vor dem, was es mit sich bringen mochte. Er setzte sich in ihr Zimmer, um auf sie zu warten.
    Diesmal war er froh, daß Bentham die ganze Woche nicht in die Kanzlei kam. Als am Donnerstag Jakob als einziger im oberen Stockwerk zurückblieb – Mrs. Gilman hörte er in der Bibliothek staubsaugen –, betrat er das leere Zimmer, schaltete das Licht nicht ein, blieb neben der Tür stehen. Er stand dort, bis Mrs. Gilman die Treppe hinaufkam. Um halb neun verließ er schließlich die Kanzlei und beschloß, zu Fuß nach Hause zu gehen. Regent’s Park war noch offen, es war ein lauer Abend, Paare lagen im Gras, schlenderten umarmt und Hand in Hand. Jakob fühlte sich ruhig und zufrieden, als hätte er eine schwierige Aufgabe gelöst. Der Park war großzügig hingebreitet, man sah bis Primrose Hill hinauf, ein Stück Landschaft mitten in der Stadt, freundlich, wohlwollend, um das Leben in der Stadt zu erleichtern, die Anspannung zu mildern. Ebenso wie die anderen Männer seines Alters in Anzug, die Krawatte gelöst oder in die Tasche gesteckt, kam er von der Arbeit und ging nach Hause. Sein Körper war zuverlässig, er atmete, spürte die Muskeln seiner Beine, fühlte sich wohl. Die Schuhe waren neu und handgearbeitet. Der Sommerabend täuschte ihn vielleicht, aber was lag daran? Er dachte an Bentham, an Isabelle und Alistair und auch an Hans, mit einer Zärtlichkeit, die ihm neu war. Man mußte Entfernungen nicht verringern, nicht einmal überbrücken.
    Bald erreichte er den nordwestlichen Ausgang, es tat ihm leid, vom Park Abschied nehmen zu müssen, aber da stand schon der Wärter, bereit, das Tor zu schließen. An der Ampel sah er Maude. Fröhlich rief er ihren Namen. Sie schaute sich erschrocken um, dann kam sie rasch auf ihn zu. Er roch ihr Parfüm, ein altmodisches Parfüm, das ihn an seine Tante erinnerte, sie trug ein hellblaues Kleid, darüber einen weißen Sommermantel. –Ich treffe meine Freundin am Kino, erklärte sie, als sie seinen Blick bemerkte. –Dabei weiß ich nicht einmal, was für einen Film wir anschauen werden. –Nun, sie wird es gut ausgesucht haben, sagte Jakob freundlich und hielt Maude, die auf die Straße trat, ohne zu bemerken, daß ein Auto kam, am Arm fest. –Es ist albern, sagte sie, aber ich mache mir immer Sorgen um Mister Bentham, wenn er nicht ins Büro kommt. Sie zögerte. Sie mögen ihn, nicht wahr? Er macht das seit Jahren, seit sein Lebensgefährte umgekommen ist. Mietet sich in einem Hotel für ein paar Tage ein. Trifft wohl auch, Sie wissen schon.
    –Ich wußte nicht, daß sein Freund ums Leben gekommen ist, sagte Jakob verlegen.
    –Bei einem Motorradunfall vor fünfzehn Jahren, sie sind verunglückt, Mister Bentham ist fast nichts geschehen, aber Graham war auf der Stelle tot. Und jetzt, in seinem Alter, erträgt er die Einsamkeit nicht.
    –Vielleicht ist es gut, wie er es macht? Sicher weiß er, was er tut.
    Maude sah ihn an, empört, fragend. –Gut? Mit jungen Männern, von denen man nicht weiß, woher sie kommen?
    –War Graham so alt wie er?
    –Zwanzig Jahre jünger. Ich sollte darüber gar nicht sprechen. Aber ich sorge mich um ihn, und keiner weiß, was geschieht, bis er zurückkommt, und natürlich stellt man keine Fragen.
    –Alistair sagt er auch nicht, wo er hingeht? Jakob bereute die Frage, als er sah, wie verletzt Maude war.
    –Alistair soll er es sagen, wenn er es mir nicht sagt? Inzwischen hatten sie das Kino beinahe erreicht. Eine Frau in Maudes Alter kam winkend auf sie zu. Vor dem Eingang standen dicht gedrängt Leute, ein Bettler zwängte sich dazwischen, der Verkehr auf der Kreuzung war ins Stocken geraten. Jakob verabschiedete sich hastig und lief die Kentish Town Road hinauf. Eine Frau, die drei kleine Kinder bei sich hatte, verstellte ihm den Weg, eines der Kinder trug eine Augenklappe, die Frau streckte ihm einen Zettel hin und hielt ihn flehend am Arm. Ungeduldig machte er sich frei, sie trat demütig zur Seite, murmelte leise vor sich hin, –Irak, wir sind aus dem Irak, hörte Jakob,

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