Die Häupter meiner Lieben
Kirschbaum fällen müsse. Er hatte keine Zweifel, daß er sofort anfangen könne.
Als wir allein waren, sagte Emilia: »Ich will den Stummen.«
»Warum?«
»Er ist der einzige, in den ich mich vielleicht verlieben könnte. Nummer zwei scheidet aus, die beiden anderen interessieren mich nicht.«
»Okay«, sagte ich, »morgen wird er engagiert. Wir drücken dir die Daumen.«
Ich hatte eine Fremdenführerin kennengelernt, die heiraten und ihren Job aufgeben wollte. Falls ich Interesse hätte, könnte ich mich einarbeiten. Es ging darum, mit einem Bus deutsche Gruppen vom Hotel abzuholen und ihnen bei einer dreistündigen Rundfahrt mit mehreren Foto-Stops einen kurzen Überblick über florentinische Geschichte und Kunst zu geben. Man müsse einiges auswendig lernen, auf immer wiederkehrende Fragen gewappnet sein und gelegentlich eine blumige oder pikante Anekdote einflechten. Ich fing sofort an, mir den Kunstführer einzuverleiben. Meine Lehrerin gab mir Tips: »Fast immer ist ein Klugscheißer dabei, der selbst bei einem Klohäuschen nach dem Baujahr fragt. Da hilft nur, mit überlegener Arroganz zu schwafeln >das dürfte im November 1935 gewesen sein, als man sämtliche sanitären Einrichtungen renoviert beziehungsweise neu angelegt hat<, auch wenn es totaler Quatsch ist. Die Selbstdarsteller sind still, wenn man überzeugend und streng ist. Aber es gibt noch die Gebildeten, die viel mehr wissen als wir. Da muß man mit einem Augenaufschlag flöten: >Die Datierung ist umstritten. Wozu würden Sie als Insider tendieren?<«
Mir gefiel die Vorstellung, sowohl Angeber als auch Kunstfreaks aufs Glatteis zu führen, und ich witterte einen idealen Beruf, der mir Zeit für andere Dinge ließ. Später habe ich in der Touristensaison nicht schlecht verdient.
Wir waren beschäftigt und zufrieden. Cora malte, ich lernte, Emilia verliebte sich.
Der stumme Gärtner, so stellte sich heraus, war nicht eigentlich stumm. Er stotterte, und zwar besonders in ungewohnten Situationen und bei fremden Menschen, so daß er zum Selbstschutz lieber das Täfelchen zückte. Wurde er heimisch in einer fremden Umgebung und faßte Vertrauen zu neuen Bekanntschaften, dann begann er vorsichtig zu stammeln. Emilia hatte schnell erkannt, daß sie behutsam und nicht fordernd vorzugehen hatte.
Sie erzählte ihm von sich und nahm gestotterte Reaktionen ohne Ungeduld und Verwunderung hin. Mit Rührung konnten wir beobachten, daß die beiden oft zusammensaßen, über Béla und Pippo lachten und sich auf eine leise Art näherkamen.
»Das wird gut«, sagte Cora, »aber so schnell, wie wir das täten, gehen sie sicher nicht miteinander ins Bett, falls überhaupt.«
Manchmal versuchte ich, Emilia auszuhorchen. »Stottert Mario immer?« fragte ich.
»Nein, nur wenn er redet«, antwortete sie.
Ein paar Wochen vor Weihnachten riefen Coras Eltern an. Sie könnten doch damit rechnen, daß wir demnächst kämen, um deutsche Weihnachten mit Gänsebraten und Tannenbaum zu feiern. Natürlich sei auch Friedrich zu Hause. »Nein«, sagte Cora.
Auch Jonas meldete sich zögernd mit einem ähnlichen Anliegen zum Fest der Liebe. Wir bekamen am Telefon sofort Streit. Er verzeihe mir den Ehebruch, sagte Jonas. Seine Sanftmut brachte mich in Harnisch. »Mein Gott, mach nicht so einen Wind, das kann jedem mal passieren, dir auch!«
»Mir nicht«, sagte Jonas.
Cora, der ich das erzählte, meinte: »Fast hätte ich Lust, die ganze Familie einzuladen - Vater, Mutter, Fred, Jonas - und dann deinen treuen Jonas vor aller Augen zu verführen. Wetten, daß ich das hinkriege?«
»Da brauchen wir nicht groß zu wetten, das bezweifelt niemand. Aber lohnt sich der Aufwand?«
»Ich weiß nicht«, sagte Cora, »wahrscheinlich ist es besser, wir haben unsere Ruhe und feiern florentinische Weihnachten auf unsere Art. Verführungs-Spielchen sollten wir für den Moment Emilia überlassen.«
Dreimal in der Woche kreuzte der Gärtner auf, obgleich jetzt im Winter außer dem Beschneiden der Bäume und dem Umgraben der Beete nichts zu tun war. Er saß auf seine unaufdringliche Art in einer Küchenecke (genau dort, wo Don gesessen hatte), lächelte freundlich, schnitt Zwiebeln, schälte Tomaten und hackte Kräuter, rauchte gelegentlich eine Zigarre und legte dann und wann eine rissige braune Hand auf Emilias drallen Unterarm. Sie sahen dann aus wie ein personifizierter Hochzeitskuchen.
Emilia hatte mit ihrer Kusine telefoniert, die sie ebenfalls für die Feiertage
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