Die Haischwimmerin
Verbrecher.«
»Das schon, jedoch Verbrecher, die ihre Regeln einhalten. Unglücklicherweise aber geht derzeit in der Stadt ein Mörder um. Einer, der sich an rein gar nichts hält. Am wenigsten an Regeln, die andere aufgestellt haben. Er mordet, wie es so heiÃt, wahllos. Wobei das Wahllose auch oft zu den Eindrücken gehört, die täuschen. Wie dicke Männer, denen man nichts zutraut.«
Ivo schnitt eine Grimasse, die verdeutlichen sollte, daà er Kallimachos durchaus eine Menge zutraue.
Der GroÃe Grieche â den man drüben in Europa gerne als eine verschärfte Version des alternden Orson Welles bezeichnet hatte â führte weiter aus, daà sich auch einige Ewenken in der Verwaltung von Toadâs Bread befinden würden. Und die eben hatten gemeint, eine deutsche Polizistin eigne sich bestens, die Spur eines wild und regelwidrig vor sich hin mordenden Phantoms aufzunehmen. »So ist das«, erklärte Kallimachos, »man hat meine Kollegin, meine Schwester im Geiste, dorthin beordert. Und ich folge ihr. Mit Verzögerung. Ich bewege mich ungern, aber möglicherweise benötigt sie meine Hilfe. Hin und wieder ist das der Fall.«
Ivo nickte. Ihm, der nie schwitzte, stand trotz des Windes Schweià auf der Stirn. Wie Regen auf einer Windschutzscheibe. Er dachte: »Was für ein Zufall, diesen Mann hier oben zu treffen.«
Nun, mitunter ist es leichter, daran zu glauben, es gebe gar keine Zufälle, sondern bloà StraÃen und Wege und von langer Hand geplante ZusammenstöÃe. Gute und schlechte ZusammenstöÃe.
War das hier ein guter?
Ivo wollte es gerne glauben. Zudem war er natürlich begierig, einen Ort zu sehen, den er bislang für ein Märchen gehalten hatte. Eine Stadt, die anders war und in der man möglicherweise eine Ahnung von Lärchen besaÃ, die ebenfalls anders waren. Ivo sagte: »Dann gehen wir also zusammen.«
»Sie gehen, ich sitze, und so kommen wir ans Ziel.« Kallimachos gab seinen Leuten, deren Gefangener, Bürgermeister und Oberschamane er war, das Zeichen zum Aufbruch.
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Es war ein schwieriger Pfad, der über Geröll abwärts führte. Weshalb nicht viel geredet und dafür mehr gekeucht wurde. Auch das Tal, in welches man gelangte, das aber sehr viel höher gelegen war als die bisherigen, blieb baumlos und allein mit Flechten bewachsen. Eine ovale Mulde spannte sich zwischen den Hängen, nicht nur der Form nach gleich einem Löffel, sondern auch mit einem ähnlichen silbrigen Glanz versehen. Die Wolken zogen derart rasch über das Land, einen Wechsel von Licht und Schatten bedingend, daà man meinen konnte, ein hyperaktives Kind würde ständig die Wohnzimmerlampe ein- und ausschalten.
»Ich kann nichts erkennen«, meinte Ivo, auf den silbrigen Talkessel schauend.
»Besser als umgekehrt.«
»Wie meinen?«
»Na, schlimm wäre nur, eine Stadt zu sehen, die gar nicht da ist. Siehe Fata Morgana.«
In der Tat, das Loch in der Erde, die Pforte von Toadâs Bread â und sie war von nicht geringem Umfang â, war dermaÃen geschickt in die Landschaft gefügt, daà man selbst noch auf geringe Distanz glauben konnte, es handle sich bloà um einen von stoppeligem, graugelbem Gras überzogenen niedrigen Krater. Erst an dessen Rand stehend, konnte man erkennen, wie die Einbuchtung in wellenförmigen Terrassen sich nach unten verengte und schlieÃlich in einen tief hinabführenden, dunklen Schlund mündete.
»Als wären wir auf dem Weg zum Mittelpunkt der Erde«, kommentierte Ivo.
»Ach, so tief liegt die Hölle gar nicht«, antwortete Kallimachos.
Die Träger genehmigten sich eine Rauchpause. Auch Ivo griff nach einer Zigarette. Kallimachos hingegen legte eine Pause vom Rauchen ein. Erst als man mit dem Abstieg begann, lieà er sich erneut eine Kippe zwischen die Lippen fügen. Es stimmte schon, sollte Gott je auf die Idee kommen, mit der Schmaucherei anzufangen â und es gibt ganz sicher schlimmere schlechte Angewohnheiten â, dann würde er ein Bild abliefern, das nahe an das herankam, welches Kallimachos bot.
14
Was anfangs den Eindruck eines allein von der Natur geschaffenen vertikalen Höhleneingangs gemacht hatte, entpuppte sich alsbald als die erwartete Intervention sowjetischer Ingenieure. Der Fels ging in einer geradezu flieÃenden Weise in Beton über, wobei die
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